Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit
ihre Fahnen schwenkte – vernahm Naqi nur ein schrilles Summen, das fast schon jenseits der Hörschwelle lag.
Das Shuttle kam langsam näher. Es hatte Anweisung, von Naqi und den übrigen Zuschauern aus gesehen am nächsten Arm der Schneeflockenstadt anzudocken. Jetzt sah man, dass es erheblich größer war als die Luftschiffe, die gewöhnlich an den Armen vertäut wurden; Naqi schätzte es mindestens halb so breit wie den Zentralkern. Aber es glitt mit bewundernswerter Präzision in die reservierte Andockbucht. Auf dem glatten Rumpf blitzten rote Symbole auf und markierten Luftschleusen, Frachtluken und Anschlüsse für Versorgungsleitungen. Vom Arm wurden Gangways ausgefahren und an den Türen und Luken ausgerichtet. Verladearbeiter eilten, von Aufsehern und städtischen Beamten überwacht, über die gefährlich schmalen Brücken, um magnetische Haltestangen am Rumpf des Shuttles zu befestigen. Doch die Magnetflächen fanden keinen Halt und glitten ab. Als Nächstes versuchten sie es mit Klebegreifern, hatten aber nicht mehr Erfolg. Danach zuckten sie die Achseln und deuteten aufgeregt auf das Shuttle.
Der Jubel der Menge war ein wenig leiser geworden.
Auch Naqi wurde von der Spannung erfasst. Eine Schar von Würdenträgern schritt in feierlicher Prozession auf die Andockbucht zu, angeführt von einem Individuum mit Cherubsgesicht, in dem Naqi Tak Thonburi, den Bürgermeister von Umingmaktok und Vorsitzenden des Schneeflockenrates, erkannte. Tak Thonburi war ein fröhliches Dickerchen mit schwarzem Haar, das über der Stirn einen Wirbel bildete, sodass ihm eine Strähne ständig wie ein umgekehrtes Fragezeichen auf der Stirn klebte. Stirn und Gesicht waren mit blassgrünen Flecken überzogen. Neben ihm stand, deutlich hagerer, Jotah Sivaraksa. Naqi war von der Anwesenheit ihres Vorgesetzten nicht überrascht, schließlich war die Seemauer eines der wichtigsten Projekte des Schneeflockenrates überhaupt. Dr. Sivaraksas eisengraue Augen waren in ständiger Bewegung, als wollte er Freund wie Feind nie aus dem Blick verlieren. Der Zug wurde von bewaffneten Aufsehern in Paradeuniformen sowie von drei martialisch wirkenden Servomaten begleitet, deren Gelenke und Sensoröffnungen zum Schutz vor der Fäule mit einer dicken Schicht sterilen Schmierfetts bedeckt waren.
Obwohl sich die Honoratioren sehr beherrschten, merkte ihnen Naqi ihre Nervosität an. Sie bewegten sich eine Spur zu selbstbewusst, dadurch trat ihre Unsicherheit noch deutlicher zutage.
Das rote Türsymbol am Ende der Gangway leuchtete heller, die Rumpfhaut zog sich an einer Stelle zusammen, und eine Öffnung tat sich auf. Naqi spähte mit zusammengekniffenen Augen durch das Fernglas, sah aber nur rötlich erleuchtetes Halbdunkel. Tak Thonburi und seine hochrangigen Begleiter erstarrten. Eine schemenhafte Gestalt erschien in der Öffnung, zögerte kurz und trat dann unendlich langsam ins Sonnenlicht.
Die Gefühle der Menge – und das galt in gewissem Maße auch für Naqi – waren gemischt. Im ersten Moment war man erleichtert, weil die Botschaften aus dem Orbit doch keine reinen Lügen gewesen waren. Doch dann versetzte der Anblick von Captain Moreau allen einen schweren Schock. Der Mann war mindestens ein Drittel größer als jeder Mensch, den Naqi je im Leben gesehen hatte, aber um ebenso viel dünner. Sein offenbar zerbrechlicher Körper steckte in einem reich verzierten jadegrünen Exoskelett, dessen Mechanik seinen Bewegungen etwas von der Lethargie einer Heuschrecke verlieh.
Tak Thonburi ergriff als Erster das Wort. Seine Stimme wurde über Lautsprecher auf alle sechs Arme von Umingmaktok übertragen und hallte von den gewölbten Vakuumblasen wider, von denen die Stadt in der Luft gehalten wurde. Kameradrohnen wetteiferten um den besten Blickwinkel und umschwärmten ihn so gierig wie Bienen auf Pollensuche.
»Captain Moreau … Ich darf mich vorstellen. Mein Name ist Tak Thonburi, ich bin der Bürgermeister der Schneeflockenstadt Umingmaktok und derzeit Vorsitzender des Pantürkisischen Schneeflockenrates. Es ist mir ein Vergnügen, Sie selbst, Ihre Besatzung und Ihre Passagiere in Umingmaktok und auf Türkis willkommen zu heißen. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass wir alles tun werden, was in unserer Macht steht, um Ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten.«
Der Ultra trat näher. Hinter ihm blieb die Shuttle-Tür geöffnet. Durch das Fernglas konnte Naqi auf den Jadegliedern des Exoskeletts rote Schlangenhologramme
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