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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Darf ich nun fragen, was Sie an unserem Ozean besonders interessiert? Was können wir Ihnen bieten?«
    »Nichts als den Ozean selbst«, sagte Amesha Crane. »Wir möchten uns lediglich an seiner Erforschung beteiligen. Wenn Sie gestatten, werden Angehörige der Vahishta-Stiftung mit Wissenschaftlern und Forschungsteams von Türkis zusammenarbeiten. Sie werden Ihre Leute überallhin begleiten und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, wo das gewünscht wird. Nur das und nicht mehr.«
    »Das ist alles?«
    Crane lächelte. »Das ist alles. Und das ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, nicht wahr?«
    Naqi blieb nach der Ankunft des Raumschiffs noch drei Tage in Umingmaktok, um Freunde zu besuchen und einige Fragen in Zusammenhang mit dem Seemauer-Projekt zu klären. Captain Moreau und seine Passagiere waren mit ihrem Shuttle zu einer der anderen Schneeflockenstädte weitergereist – nach Prachuap vielleicht oder nach Qaanaaq-Pangnirtung, die sich kürzlich vereinigt hatten –, um sich dort von einer kleineren, aber nicht weniger distinguierten Gruppe von Würdenträgern begrüßen zu lassen.
    In Umingmaktok baute man die Buden ab, packte die Fähnchen ein und ging zur Tagesordnung über. Unmengen von Abfall lagen herum. Die Wurmhändler machten, wie immer in leicht depressiven Zeiten, gute Geschäfte. An den Armen hingen weit weniger Transportschiffe, und die noch vor wenigen Tagen allgegenwärtigen Medien waren spurlos verschwunden. Die Touristen waren in ihre Heimatstädte zurückgekehrt, und die Kinder gingen wieder zur Schule, wie es sich gehörte. Wenn Naqi in der Mittagspause zwischen den Sitzungen vor halb leeren Restaurants und Bars im Schatten saß, sah sie in allen Gesichtern die gleiche Ratlosigkeit und Enttäuschung, die sie tief im Innern auch selbst spürte. Zwei Jahre hatten die Menschen Zeit gehabt, um über das im Anflug befindliche Schiff alle möglichen Phantasien zu spinnen. Selbst wenn die Besucher nicht ausschließlich in freundlicher Absicht gekommen wären, hätten sie doch interessanten Gesprächsstoff geboten: es hätte zumindest eine geringe Aussicht bestanden, dass das eigene Leben über Nacht deutlich spannender würde.
    Doch das hatte sich jetzt erledigt. Naqi würde die Besucher sicherlich irgendwann kennen lernen und ihnen Gelegenheit zum Besuch der Seemauer oder einer der außerhalb gelegenen Forschungsstationen geben, die sie betreute, aber ihr Leben würde sich dadurch nicht entscheidend verändern.
    Sie dachte an die Nacht zurück, in der sie und Mina die Nachricht gehört hatten. Das war der große Einschnitt gewesen. Nach Minas Tod hatte Naqi den für sie vorgesehenen Posten am Seemauer-Projekt bekommen. Sie hatte sich den Anforderungen gewachsen gezeigt und war erfreulich schnell mehrfach befördert worden. Nun leitete im Grunde sie das gesamte Forschungsprogramm des Projekts. Doch das Gefühl, mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben, wollte sich nicht einstellen, obwohl sie sich seit Jahren danach sehnte. Die Männer, mit denen sie geschlafen hatte – fast ausschließlich Schwimmer –, hatten es ihr nie geben können. Irgendwann hatten sie alle die Geduld verloren, sobald sie spürten, dass sie für sie, Naqi, weniger als Personen wichtig waren denn als das, wofür sie standen, nämlich die Verbindung zum Meer. Ihre letzte Affäre lag Monate zurück, denn seit sie begriffen hatte, wie sehr ihr eigenes Unterbewusstsein sie zum Meer zurückzog, hatte sie alle Kontakte zu den Schwimmern vermieden. Sie hatte sich ziellos treiben lassen und nur leise zu hoffen gewagt, dass ihr die Besucher ein wenig inneren Frieden bringen würden.
    Doch diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt.
    Sie musste ihren Frieden wohl anderswo finden.
    Am vierten Tag kehrte Naqi mit einem Schnellen Luftschiff zur Seemauer zurück. Kurz vor Sonnenuntergang sank sie aus großer Höhe herab. Das Bauwerk, eine grauweiße Keramik-Ellipse, die wie ein riesiges Armband auf dem Meer lag, leuchtete ihr entgegen. Von Horizont zu Horizont waren mehrere durch feinste Fäden miteinander verbundene Schieberknoten zu erkennen – für Naqi sahen sie aus wie Tintenflecke auf Löschpapier –, aber auch innerhalb der Seemauer entdeckte sie kleinere grüne Tupfen.
    Der Ringwall war inzwischen fast fertig gestellt und hatte einen Durchmesser von zwanzig Kilometern. Nur eine schmale Lücke trennte die beiden Enden noch voneinander: eine hundert Meter breite Öffnung zwischen schroffen Wänden, zu beiden Seiten

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