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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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schon wieder unterwegs. Dabei wäre es doch sicherlich sehenswert gewesen, nicht wahr?«
    Thonburi beugte sich zu Naqi. Er hatte eine starke Fahne, die nach Essig roch. »Es ist wohl nicht möglich, den Ablauf zu beschleunigen?«
    »Ich fürchte, das ist ausgeschlossen«, antwortete Naqi.
    »Wirklich schade«, sagte Amesha Crane und tändelte weiter mit ihrem Haarschmuck herum. Dann wandte sie sich an die anderen. »Aber die kleine Enttäuschung soll uns nicht den ganzen Besuch verderben.«
    Das Shuttle der Stimme des Abends brachte sie zur Seemauer zurück. Nach der Landung war ein weiterer Staatsempfang zu überstehen, der aber viel bescheidener ausfiel als in Sukhothai-Sanikiluaq. Dr. Jotah Sivaraksa war natürlich anwesend, und nachdem Naqi ihm die Gruppe vorgestellt hatte, konnte sie zum ersten Mal seit vielen Stunden aufatmen, sich in eine Ecke des Raums zurückziehen und die Gespräche zwischen Besuchern und Einheimischen aus einem Abstand beobachten, der ihr entsprach. Naqi war müde, sie hatte Mühe, die Augen offen zu halten, und sah alles halb verschwommen. Die Delegierten umstanden Sivaraksa wie Flammensäulen, ihre Gewänder schienen bei der kleinsten Bewegung zu züngeln und rote, braune und chromgelbe Funken oder Flammen zu sprühen. Naqi blieb nur so lange, wie es der Anstand erforderte, dann ging sie zu Bett und fiel sofort in einen unruhigen Schlaf. Im Traum sah sie noch einmal die Engelsgeschwader mit den purpurnen Flügeln vom Himmel fallen und den mächtigen Riesen aus den Tiefen des Ozeans steigen und sich den Seetang der Jahrhunderte aus den Augen reiben.
    Sie fühlte sich nicht erfrischt, als sie am nächsten Morgen erwachte. Durch die Jalousien vor ihrem Fenster fiel mattes Licht. Bis zum nächsten Treffen mit den Delegierten blieben ihr noch drei oder vier Stunden, sie könnte sich also umdrehen und noch einmal richtig einschlafen. Aber sie wusste aus Erfahrung, dass das vergeblich war.
    Also stand sie auf und sah überrascht, dass auf ihrer Konsole eine neue Nachricht von Jotah Sivaraksa angekommen war. Was mochte er ihr mitzuteilen haben, was er ihr nicht auch gestern beim Empfang oder heute Vormittag hätte sagen können?
    Sie öffnete die Nachricht und las.
    »Sivaraksa«, sagte sie zu sich selbst. »Hast du den Verstand verloren? Das ist unmöglich.«
    Ihr Vorgesetzter teilte ihr mit, man habe die Pläne geändert. Die Wassertore sollten nun zum ersten Mal in drei Tagen geschlossen werden, wenn sich die Delegierten noch an der Seemauer aufhielten.
    Das war schlichter Wahnsinn. Diese Phase lag noch Monate in der Zukunft. Gewiss, die Tore ließen sich schließen – die erforderliche Maschinerie war bereits eingebaut – und sie würden auch mindestens hundert Stunden nach der Schließung hermetisch dicht halten. Aber sonst war nichts bereit. Die empfindlichen Überwachungsgeräte, die ausfallsicheren Subsysteme, die Backups … All das würde erst in vielen Wochen installiert und betriebsbereit sein. Dann sollte sich eine mindestens sechswöchige Testphase anschließen, bevor man langsam auf das große Ereignis zusteuerte …
    Das Ganze in zwei Tagen abwickeln zu wollen, war völlig sinnlos, außer für einen Politiker. Bestenfalls könnten sie dabei herausfinden, ob die Schieber nach dem Schließen der Tür innerhalb des Ringwalls geblieben waren. Wie der Datenfluss unterbrochen wurde oder wie sich die internen Verbindungen zwischen den Knoten auf den Kontaktverlust zum gesamten Ozean einstellten, würden sie sicherlich nicht erfahren.
    Fluchend schlug Naqi mit der Hand auf die Konsole. Sivaraksa die Schuld zu geben, wäre unfair gewesen. Er musste die Politiker bei Laune halten, sonst wäre das ganze Projekt gefährdet. Er tat nur, was er tun musste, und sie konnte davon ausgehen, dass es ihm noch weniger gefiel als ihr.
    Naqi schlüpfte in Shorts und ein T-Shirt und besorgte sich nebenan in der Messe eine Tasse Kaffee. Die Seemauer war verlassen, bis auf den Herzschlag der Generatoren und Ventilationssysteme war alles still. Noch vor einer Woche wäre der Lärm um diese Zeit nicht geringer gewesen als irgendwann sonst, denn die Bauarbeiten waren rund um die Uhr fortgesetzt worden. Aber inzwischen waren die schweren Arbeiten beendet; die letzte Stahllieferung war eingetroffen, während Naqi unterwegs gewesen war. Nun mussten nur noch die Versorgungssysteme fertiggestellt werden, und das waren leichtere Tätigkeiten. Sivaraksa hatte in seiner Nachricht das Gegenteil behauptet, aber

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