Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit
tatsächlich war nur noch wenig zu tun, bis man die Türen schließen konnte. Doch auch zwei Tage voll hektischer Betriebsamkeit würden nichts ändern – es bliebe ein sinnloses Unterfangen.
Als sie sich beruhigt hatte, ging sie in ihr Zimmer zurück und rief Sivaraksa an. Es war noch viel zu früh, aber da ihr der Dreckskerl bereits den Tag verdorben hatte, sah sie nicht ein, warum sie ihm nicht mit gleicher Münze heimzahlen sollte.
Er erschien auf dem Schirm. »Naqi.« Sein Silberhaar stand, vom Schlaf zerwühlt, nach allen Seiten ab. »Sie haben also meine Nachricht erhalten?«
»Sie dachten doch nicht etwa, dass ich das klaglos hinnehmen würde?«
»Ich bin ebenso wenig davon begeistert wie Sie. Aber ich sehe ein, dass es politisch notwendig ist.«
»Tatsächlich? Wir reden nicht davon, einen Lichtschalter umzulegen, Jotah.« Er riss bei der vertraulichen Anrede die Augen auf, aber sie ließ sich nicht beirren und sprach weiter. »Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, bekommen wir vielleicht nie wieder eine zweite Chance. Die Schieber müssen mitspielen. Ohne sie haben Sie nur eine überaus kostspielige Tankstation mitten im Ozean. Halten Sie das für politisch sinnvoll?«
Er fuhr sich mit seinen grünen Händen durch das wirre Haar. »Frühstücken Sie erst einmal, dann schnappen Sie ein wenig frische Luft, und danach kommen Sie in mein Büro, und wir reden darüber.«
»Gefrühstückt habe ich bereits, vielen Dank.«
»Dann gehen Sie frische Luft schnappen. Danach fühlen Sie sich bestimmt besser.« Sivaraksa rieb sich die Augen. »Sie sind ziemlich unglücklich darüber, wie?«
»Es ist ein verdammter Wahnsinn. Und das Schlimmste ist, Sie wissen es selbst.«
»Und mir sind die Hände gebunden. In zehn Jahren, Naqi, sitzen Sie auf meinem Stuhl und haben ähnliche Entscheidungen zu treffen. Und ich wette zehn zu eins, dass irgendein idealistischer junger Forscher Ihnen genau in dem Moment vorhält, was für eine hoffnungslose Niete Sie sind.« Er rang sich ein müdes Lächeln ab. »Denken Sie an meine Worte, ich möchte, dass Sie sich dann an dieses Gespräch erinnern.«
»Ich kann wohl nichts tun, um es zu verhindern?« »Ich bin …« Sivaraksa schaute auf eine Uhr neben sich. »… in dreißig Minuten in meinem Büro. Dann können wir die Sache vernünftig ausdiskutieren.« »Da gibt es nichts mehr zu diskutieren.« Doch während sie noch sprach, wurde ihr klar, dass sie sich anhörte wie ein trotziges Kind. Sivaraksa hatte Recht: niemand konnte ein so komplexes und teures Projekt wie die Seemauer leiten, ohne gewisse Kompromisse einzugehen.
Naqi entschied, Sivaraksas Rat – zumindest was die frische Luft anging – zu beherzigen, und stieg über eine Wendeltreppe bis zur Oberfläche des Ringwalls hinab. Sie spürte den kalten Beton unter ihren Füßen, und eine angenehm frische Brise streichelte ihr Arme und Beine. Auf einer Seite war der Himmel am Horizont heller geworden. Maschinen und Material standen bereit, die Bauarbeiten konnten jederzeit wieder aufgenommen werden, aber man hatte sie bis nach dem Besuch der Delegation eingestellt. Naqi stieg geschickt über das Gewirr aus Schienen, Leitungen und Kabeln hinweg und trat an die Seite. Ein hohes Geländer, mit weithin sichtbarer, fäulebeständiger Lackfarbe gestrichen, grenzte den Ringwall nach innen ab. Sie berührte es leicht, um sicherzugehen, dass die Farbe trocken war, dann beugte sie sich darüber. Die gegenüberliegende Seite war zwanzig Kilometer entfernt, ein farbloser Strich, wie eine niedrige Nebelwand.
Was konnte man in zwei Tagen erreichen? Nichts. Jedenfalls nichts verglichen mit dem, was Ursprunglieh geplant war. Aber wenn der neue Terminplan bereits ein fait accompli war – und so hatte sie Sivaraksa verstanden –, dann war es ihre Aufgabe, alles zu tun, damit sich das Ereignis in wissenschaftlicher Hinsicht wenigstens halbwegs auszahlte. Sie schaute auf die Lücke und die vielen dünnen Gerüste und Laufstege hinab, die sie überspannten oder ein Stück weit nach innen ragten. Wenn sie heute vielleicht ein paar Standardsonden vorbereiten ließe, von der Art, wie man sie von Luftschiffen abwarf?
Ihr Blick huschte über Anschlüsse und Telemetrieleitungen.
Es wäre eine Riesenaufgabe, alles rechtzeitig zu installieren, und noch schwieriger, die Sonden an ein Echtzeiterfassungssystem anzuschließen … Aber es wäre gerade noch machbar. Die Datenqualität wäre lächerlich gering, verglichen mit der Ausbeute aus den
Weitere Kostenlose Bücher