Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 2 (German Edition)
rieselten die Nadeln zu Boden, nur eine behielt Rhavîn in der linken Hand. Zugleich zog er mit der Rechten ein kleines Tonfläschchen aus seiner Tasche. Er zerbrach den Wachspfropfen, der das Gefäß verschloss. Gelber Dampf und ein süßlich schwüler Duft stiegen aus dem Fläschchen empor, wurden eins mit der Waldluft.
Gleich werde ich Schlaf finden. Rhavîn tunkte die Nadel in das Fläschchen. Dann zog er sie wieder empor, ölige gelbe Flüssigkeit perlte über das silberne Metall. Rhavîn drehte die Nadel, sodass sie zur Gänze damit benetzt wurde. Ein Tropfen zu viel davon und der stärkste Mann liegt sterbend zu meinen Füßen. Nachdenklich starrte der Dunkelelf auf das Gift. Der schwere Duft schraubte sich in seine Gedanken, versprach Erlösung und Frieden. Ein Tropfen zu wenig und man spürt nichts als Übelkeit. Rhavîn grinste. Er war ein Meister im Umgang mit Gift. Dieses hier hatte er selbst gemischt, er wusste um die Wirkung und die Dosierung.
Die Nadel glitt geschickt durch Rhavîns Finger. Dann setzte er sie auf der Unterseite seines rechten Unterarms an, nahe bei seinem Handgelenk. Den Blick auf seine bleiche Haut gerichtet ertastete er seinen Pulsschlag, suchte den richtigen Punkt.
Dann stieß er zu. Unnachgiebig bohrte Rhavîn die Nadel in eine Vene. In einem Zug schob er sie der Länge nach in seinen Unterarm. Ein grauer Schatten unter seiner Haut zeigte die Position des Metalls, eine feine Erhebung ließ ihren Verlauf ertasten. Erst als die lange Nadel nur noch einen Fingerbreit aus seiner Haut hervorragte, hielt Rhavîn inne.
Ein Schaudern jagte durch seinen Körper, keuchend krallte er die Finger in die Rinde des Baumstamms. Der Dunkelelf erbebte, krampfte, zitterte. Das Tonfläschchen stürzte um, das klebrige Gift ergoss sich über den Baumstamm, tropfte zu Boden.
Rhavîn spürte, wie sich das Gift in seinem Arm ausbreitete. Es lähmte seine Muskeln, trieb peitschende Schmerzen vor sich her. Binnen weniger Atemzüge versickerte es in Rhavîns Blut, wurde von seinem schnellen Herzschlag in jeden Winkel seines Körpers gepumpt. Der Sícyr´Glýnħ spürte die betäubende Wirkung des Giftes wie einen behaglichen Schauer, zeitlose Regungslosigkeit hüllte ihn ein wie eine warme Decke. Der Wald vor ihm drehte sich, er fühlte sich leicht und befreit.
Eine Weile lang saß Rhavîn in sich selbst versunken da. Die selbst gemischte Droge ließ ihn fühlen als sei die Welt um ihn herum in Ordnung, obgleich sie seine Gefühle in Scherben trat. Der Meuchelmörder dämmerte dahin, erlebte seine Gedanken wie die Erinnerungen eines Fremden.
Im Gegensatz zu dem violetten Schierling sorgte diese Mischung weder für Heiterkeit noch für geschärfte Sinne. Es handelte sich um ein Gift, gemischt, um Widersacher qualvoll zu töten. In geringer Dosis verabreicht betäubte die Mixtur Gedanken und Gefühle, es lähmte und ließ Körper und Geist ermüden. Es vermochte freudvolle Halluzinationen zu wecken und die Welt in schillernde Farben zu tauchen.
Doch für Rhavîn, der an den Gebrauch von Drogen gewöhnt war und berauschende Mittel in unterschiedlichster Form und Dosierung schon Hunderte Male eingenommen hatte, hielt das Gift beides nicht bereit. Seine traurige Welt war farblos und stumpf. Krämpfe und Schmerzen schüttelten seinen Körper.
Irgendwann, kurz bevor der Morgen dämmerte, zwang das Gift Rhavîn dann endlich, Ruhe und Schlaf zu finden. Er legte sich auf den umgestürzten Baum, auf dem er bereits seit Stunden gesessen hatte.
Während Auriel sich neben ihm am Boden hin und her wand und offenbar erneut einen ihrer wiederkehrenden Träume durchlebte, schlief auch Rhavîn endlich ein. Sein Haar hing zu beiden Seiten des Baumes herab, ebenso wie sein langer, schwarzer Umhang. Der Schmuck in seinem Haar spiegelte das fahle Licht der Sterne wider, seine Hände umklammerten beharrlich Nymions Stirnhorn.
Dreiundzwanzigstes Kapitel: Dragelund
Auriel erwachte bei Sonnenaufgang. Sie wunderte sich, dass sie sich gut erholt hatte, obwohl sie in dieser Nacht mehrmals von dem Traum heimgesucht worden war. Noch immer waren ihr die Botschaften, welche die Bilder trugen, nicht klar, doch war sie sich sicher, dass heute der Tag war, an dem sich alles aufklären würde.
Die Hexerin stand auf, strich ihre Kleider glatt und kämmte ihr Haar. Ihr Blick fiel auf Rhavîn, der noch immer schlief. Ein liebevolles Lächeln huschte über ihre Lippen.
Rhavîn schläft, ich kann es kaum glauben. Niemals hat er an
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