Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 2 (German Edition)
er Schuld am Tod des Einhorns trug, da er nicht rechtzeitig eingegriffen hatte. Diese Bürde lastete wie ein Felsen auf dem Sícyr´Glýnħ. Das Band, das ihn in enger Freundschaft an Nymion gebunden hatte, drohte ihn zu erwürgen.
Auriel gewährte Rhavîn die Ruhe und Einsamkeit, die er brauchte. Sie bemühte sich, selbst auf Anzeichen zu achten, die auf Dragelund hindeuteten. Die Hexerin wollte Rhavîn zur Seite stehen, ihm helfen, wo sie konnte. Sie behandelte den Meuchelmörder als sei er ein zerbrechliches Geschöpf, das beschützt werden musste. Sie half Rhavîn, wenn der Weg steil bergab oder bergan führte, bot ihm ihren stützenden Arm, wenn er taumelte, und kümmerte sich liebevoll um ihn, wenn er würgend in die Knie brach. Wann immer eine Biegung den Blick auf den Weg versperrte, zog sie misstrauisch ihre Waffen, jederzeit einen Angriff erwartend. Doch nur ein einziges Mal begegneten die beiden einem Händler mit mehreren Karren und seinem Gesinde auf dem Weg, die übrige Zeit reisten sie allein und ungehindert.
Am frühen Abend lag das idyllische Land unter einem blassblauen Himmel vor Rhavîn und Auriel. Die wenigen Wolken wurden von der untergehenden Sonne in ein zartes, orangerotes Licht getaucht, die Pflanzen und Gewässer der Umgebung schimmerten in zauberhaftem Glanz. Während sich auf der linken Seite des Weges schon seit mehreren Meilen eine schroffe Felsformation erstreckte, lag rechts des Weges eine flache Ebene. Dort wuchsen neben Gräsern und Heidegewächsen Kräuter, Pilze und niedrige Sträucher. Nicht weit abseits des Weges schlängelte sich ein schmaler Fluss durch die Wiesen, um in einem großen See zu münden, dessen Wasser ruhig und dunkel dalag. Beinah das gesamte Seeufer war von dichtem Wald umstanden. Dieser dehnte sich in südöstlicher Richtung noch weiter aus und verschmolz schließlich mit dem großen Wald, den Auriel und Rhavîn vor wenigen Meilen verlassen hatten.
„Sieh! Dort!“ Rhavîn fasste Auriel bei der Schulter. Er wies entlang der Felsen nach vorn. Auriel folgte seinem Fingerzeig und erkannte, dass der Weg in einigen Hundert Schritten eine große Kurve vollführte, um dann in ein Tal zu münden. „In diesem Tal liegt Dragelund.“
Der Hexerin stockte der Atem, für den Bruchteil eines Atemzugs spürte sie ein Stechen hinter dem Brustbein.
„Was?“, raunte sie. „Sind wir schon da?“ Aus Gewohnheit schickte sie ein Stoßgebet zu den Göttern, in der Hoffnung, sie würden ihre Schritte lenken.
„Wir werden dort, wo der Wald den Felsen am nächsten kommt, übernachten. Dragelund betreten wir bei Sonnenaufgang“, beschloss Rhavîn. Unbeirrt setzte er den Weg fort, obwohl sein Körper sofort nach einer Rast drängte. Jetzt, wo Dragelund so dicht vor ihm lag, klarten Rhavîns Sinne etwas auf. Plötzlich konnte er sich wieder auf seinen Auftrag konzentrieren, altgewohnter Kampfgeist tastete sich mit langen Fingern durch die Trauer, die sein Herz überspülte.
„Ja.“ Auriel folgte ihrem Geliebten wie ein Schatten. Nur widerwillig folgten ihre Füße ihrem Willen. Den Blick zu Boden gerichtet wirkte sie wie ein gedemütigter Hund.
„Du wirkst betrübt.“ Rhavîn mustere die Hexerin. Er wollte sich zu einem Lächeln zwingen, doch es gelang ihm nicht. „Was ist denn?“
„Ich habe eine Vorahnung, dass in Dragelund etwas Schreckliches geschehen wird“, erläuterte Auriel. Müde berichtete sie dem Dunkelelfen von ihren Träumen. Sie erzählte, dass sie den Weg ihrer Reise in ihren Träumen gesehen hatte und von Rhavîns Antlitz, das ihr jede Nacht erschienen war. Ebenso erzählte sie davon, wie sie von ihrer Ankunft in Dragelund geträumt hatte und dem Blut an ihren Händen. „Jede Nacht verfolgen mich Mark verzehrende Gefühle, Rhavîn“, verdeutlichte die junge Frau. „Irgendwann habe ich dir schon einmal von diesen Träumen erzählt, doch da wusste ich nicht, dass sie jede Nacht wiederkehren würden. Nun allerdings bin ich mir sicher, dass dieser Traum eine Vorahnung ist, die sich bald erfüllen wird. Doch weiß ich nicht, von welchem Ereignis er mir berichtet.“
Rhavîn antwortete nicht. Er betrachtete die Hexerin einen Augenblick lang schweigend. Dann bog er seitlich von dem Weg ab, um zwischen den Bäumen des nahen Waldes nach einem geeigneten Lagerplatz zu suchen.
Zunächst bestand der Wald vornehmlich aus Mischwald, der zwischen den zahllosen Bäumen auch ein üppiges Geflecht aus Sträuchern, Rankenpflanzen und Unterholz barg. Doch je
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