Rheingrund
Ruth auch dieser Meinung?«
»Nein, sie möchte, dass du weitermachst. Aber ich bedaure inzwischen, dass ich dich damit konfrontiert habe. Das war ein Fehler.«
Norma marschierte weiter. »Traust du mir die Ermittlungen nicht zu?«
»Nicht doch! Aber ich muss dich nur ansehen. Du solltest noch nicht arbeiten. Lass es ruhiger angehen, Norma. Bring erst den Prozess hinter dich. Das wird schwer genug.«
»Damit ich an nichts anderes denke? Nein, ich brauche eine Aufgabe. Die Arbeit lenkt mich ab.«
Eine Frau rief ihren Hund und warf einen Ball in die Höhe, der vor dem Wasserbecken aufprallte und ins Gras rollte. Der Mischling jagte mit fliegenden Ohren hinterher und bellte die Fontäne an. Das Spielzeug blieb unbeachtet. Wie oft folgt man der falschen Fährte, überlegte Norma, obwohl die Spur so offensichtlich ist?
Lutz bückte sich und schnürte seinen Schuh neu. Der Hund bellte und blickte neugierig herüber.
»Was weißt du vom Rheinsteig?«, fragte Lutz, als er sich wieder aufrichtete.
»Unter anderem, dass er hier in Biebrich beginnt.«
Sie kannte die Informationstafel am Eingang zum Schlosspark. Der Wanderweg, der mit jedem Jahr mehr Wanderer an den Rhein lockte, führte auf 320 Kilometern von Wiesbaden nach Bonn. Das erste Teilstück folgte dem bequemen Spazierweg am Rheinufer. Dass die Strecke über weite Etappen zu Recht die Bezeichnung ›Steig‹ trug und, auf den Höhen oberhalb des Stromes, über schmale und bisweilen abenteuerliche Pfade führte, wusste Norma aus verschiedenen Berichten in den Wiesbadener Tageszeitungen. Sie verspürte seit Langem selbst Lust, dort zu wandern.
»Ich plane ein Buch über den Rheinsteig«, sagte Lutz.
Sie staunte. »Du willst einen Wanderführer herausgeben? Zwischen all den Büchern über Kunst und Philosophie?«
»Ab und zu veröffentlichen wir auch Regionales. Denk nur an den Wiesbaden-Kalender, der jedes Jahr erscheint. Außerdem wird das kein reiner Wanderführer. Es soll viele Ergänzungen geben. Über die Geschichte und Kultur der Orte entlang des Rheinsteigs. Du könntest mir dabei helfen.«
»Soll ich vielleicht den Text schreiben? Wie ein Protokoll und im Polizeijargon.«
Lutz lachte und sagte: »Zu spät, den Autor habe ich schon. Zusätzlich brauche ich jemanden, der die Wegschilderungen überprüft. In diesem Punkt erscheint mir mein Autor ein wenig nachlässig.«
Norma blieb stehen. »Und wieso denkst du dabei an mich?«
»Du wanderst doch gern! Und auf deine Gründlichkeit kann ich mich verlassen.«
»Ist es nicht eher so, dass du mich an die frische Luft schicken willst? Weil du glaubst, mir könnten die Spaziergänge gut tun?«
»Und wenn es so wäre?«, wandte er ein. »Lass die Suche nach Ruths Tochter sein und hilf mir bei den Recherchen zum Wanderbuch.«
Norma überlegte. »Die Aufgabe könnte mir gefallen. Aber ich gebe deswegen nicht den Fall Marika auf.«
Lutz trat hinter Norma zurück, um einen Trupp Spaziergänger vorbeizulassen, und sagte, als er wieder auf ihrer Höhe war: »Eines musst du wissen. Der Autor heißt Bernhard Inken.«
Norma blieb verblüfft stehen. »Soll ich das einen Zufall nennen?«
Lutz wartete. »Natürlich nicht. Ruth hat die Sache vermittelt.«
Langsam ging Norma weiter. »Inken leitet diese Medienagentur. Wieso arbeitet er an einem Wanderführer?«
»Er betrachtet das Schreiben als Freizeitvergnügen. Der Rheingau und der Rheinsteig sind seine Steckenpferde. Er kennt sich dort bestens aus.«
»Was bedeutet das für mich? Was hätte ich mit Inken zu tun?«
Alle Informationen könnten über den Verlag laufen, versicherte Lutz. Es würde keine Berührungspunkte mit dem Fall Marika geben. »Überlege es dir in Ruhe.«
Er verabschiedete sich. Norma blickte ihm nach, bis er außer Sicht war, ein geschmeidig laufender 60-Jähriger auf sehnigen Beinen.
Ein halbe Stunde später ging sie, von einer zweiten Dusche erfrischt, hinunter ins Büro. Leopold ruhte auf dem oberen Regalboden, seinem Lieblingsausguck, von dem er den Schreibtisch beobachten konnte. Sie schaute zu ihm hinauf, während sie darauf wartete, dass die elektronische Post geladen wurde. Als sie sich dem Bildschirm zuwandte, entdeckte sie unter vielem Überflüssigen eine Nachricht von Marcel Thimm. Die Rechnung über die Bieler-Recherchen? Oder ein freundlicher Gruß?
»Vielleicht lädt Marcel mich aufs Neue zum Trekking ein? Glaub mir, Poldi, irgendwann nehme ich das Angebot an.«
Leopold schnurrte gleichmütig. Er hielt wenig von
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