Rheinsteigmord - Kriminalroman
der Limes hier begann?«
»Nicht nur das. Hier ist die Mitte des Rheins.«
»Die Mitte? Was soll das denn heißen?«
»Der Rhein hat offiziell eine Länge von tausendzweihundertdreiunddreißig Kilometern. Das heißt, wenn man von Konstanz aus rechnet. Also von der Stelle, wo der Rhein den Bodensee verlässt. Dort beginnt die offizielle Zählung der Rheinkilometer. Und Rheinbrohl liegt an Rheinkilometer 620.«
»Also auf halber Strecke.«
»Genau. Im Zentrum. Wenn man vom Rheinland spricht, meint man die Region um Rheinbrohl.«
»Wo bekomme ich einen Plan von der Gegend?«, fragte Fred.
Haustein griff in eine Tasche, die auf dem Stuhl neben ihm stand, und gab ihm ein kleines Faltblatt. »Den hier können Sie haben«, sagte er.
Nach kurzem Überlegen ließ Fred den Bulli stehen und folgte zu Fuß der Hauptstraße. Sie führte an einem Edeka und der Sparkasse vorbei. Ein Stück weiter kam auf der rechten Seite der, wie ein Schild erklärte, »Römerplatz«. Doch das Schild wäre gar nicht nötig gewesen. Die Fassaden der Häuser am Platz waren mit bunten Landschaftsmotiven aus der Römerzeit bemalt. Man sah von oben in das Rheintal mit seiner blauen Flusskurve und den bewaldeten Hängen hinunter, flankiert von zwei Türmen, die dem Modell auf der Terrasse des Cafés Schmidt zum Verwechseln ähnlich sahen. Der eine war aufgemalt, der andere ragte mitsamt einer nachgebildeten Palisadenwand als 3D-Konstruktion aus der Wand heraus. Zur Antike passte auch das Restaurant »Dionysos« gleich gegenüber. Es war freilich ein Grieche, kein Römer, aber so genau durfte man das wohl nicht nehmen.
Fred spazierte am Rathaus vorbei, einem kleinen Fachwerkgebäude. Ein Schriftzug lief wie ein Band an einem Balken entlang: Hier ist die Geburtsstätte des elfhundertjährigen Rheinbrohl. Er stellte sich davor, studierte den Ortsplan und beschloss, als Erstes zum Bahnhof zu gehen.
Der Bahnhof war ein gelbes Gebäude mit verschachtelter Dachkonstruktion am Ortsausgang. Davor gab es eine Bushaltestelle mit Wendeplatz, ein paar Bäume und eine Bank auf einer Verkehrsinsel. Fred folgte dem blauen Schild mit der Aufschrift »Zu den Zügen« um das Gebäude herum und gelangte auf den Bahnsteig. Die Sicht auf den Rhein wurde durch eine Lagerhalle weiter hinten versperrt, vor der sich Autos drängten. Es waren Trabis. Einer davon leuchtete hellblau. Auf der Seitentür stand in großen Buchstaben: »Westerwälder Trabifreunde«.
Kein Mensch war zu sehen. Plötzlich rauschte ein Zug heran. Eine schier endlose Kette von braunen Güterwaggons donnerte vorbei, während Fred am Bahnsteig entlangging und den Hinweis »Richtung Köln«, den Fahrplan und einen Fahrscheinautomaten passierte. Das Bahnhofsgebäude war verschlossen. Seitlich gab es einen kleinen Erker mit Jalousien vor den Fenstern. Fred bemerkte eine Bewegung hinter der Scheibe. Da saß ein Bahnangestellter an einem Schreibtisch.
Fred wartete, bis der Güterzug in der Ferne verschwunden und der tosende Lärm verhallt war. Die Tür in der Scheibe stand offen. Er klopfte trotzdem. Der Mann sah auf. »Der Fahrplan hängt da drüben. Und der Automat steht gleich neben Ihnen«, sagte er.
Fred erklärte, dass es ihm nicht darum ging, und zog Friesdorfs Foto heraus. »Hatten Sie vorgestern auch Dienst?«, fragte er.
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Mein Name ist Bleikamp. Staatsanwaltschaft Bonn. Wir suchen einen wichtigen Zeugen.« Er deutete auf das Foto. »Haben Sie diesen Mann gesehen? Er müsste vorgestern mit dem Zug weggefahren sein.«
Der Mann sah gar nicht genau hin und schüttelte den Kopf. »Ich achte nicht auf die Leute, die hier stehen.«
»Aber er könnte Ihnen doch trotzdem aufgefallen sein.«
»Hören Sie, ich hab zu arbeiten. Und die meisten, die in den Zug steigen, warten nicht direkt vor meinem Fenster. Der Bahnsteig ist lang.«
»Sie haben ihn also definitiv nicht gesehen?«
»Nein.«
Es war einen Versuch wert gewesen.
Fred bedankte sich und ging. Als er den Bahnsteig verließ, lag vor ihm ein steiler Hang. Er stand fast senkrecht und wirkte gegen den Himmel dunkel und schartig. Weit oben wehte eine Fahne.
Er holte den Plan heraus, den er von Haustein erhalten hatte. Er hätte gar nicht nachschauen müssen. Dort oben lang die Rheinbrohler Ley. Und ganz in der Nähe musste das Ehrenmal sein.
6
Der Weg führte erst durch kleine Gässchen ins obere Dorf hinauf. Weiter oben überquerte die Bundesstraße die Häuser über eine Betonbrücke mit
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