Rheinsteigmord - Kriminalroman
Daniela.«
Der Mann betrachtete Fred hämisch und schnaufte. »Sollten Sie von der schreibenden Zunft sein, so bitte ich Sie, mich nicht weiter zu belästigen. Ich weiß, dass meine Schwester gestern Abend auf tragische Weise verunglückt ist. Und ich wünsche, dass Sie mich in meiner Trauer allein lassen. Sollten Sie den Wunsch verspüren, etwas über mich zu schreiben, so konzentrieren Sie sich bitte auf meine Arbeit, nicht mein Privatleben. Ich gebe heute Abend ein Konzert in Frankfurt. Mein Zug geht bald. Mir fehlt die Zeit. Auf Wiedersehen.«
Hecht wollte die Tür schließen, doch Fred beherrschte den alten Trick, das zu verhindern, perfekt. Er blockierte die Tür mit dem Fuß.
»Ich muss doch sehr bitten.«
»Sie spielen das Violinkonzert von Beethoven außerordentlich schön. Ich liebe das Stück sehr.«
»Jeder liebt Beethoven.«
»Aber nur wenige spielen ihn wie Sie. Ein wenig erinnert mich Ihre Interpretation oder das, was ich davon hören konnte, an die von Maxim Vengerov, aber Sie machen nicht den Fehler wie er, den ersten Satz zu langsam zu nehmen. Respekt. Wenn ich Zeit hätte, würde ich zu Ihrem Auftritt heute Abend kommen, aber ich habe einen Fall zu lösen. Wie gesagt, es geht um Ihre Schwester.«
»Dann sind Sie Polizist?«
Warum nicht? Wenn Wieland Hecht dachte, dass er Polizist war, würde ihm das sicher helfen.
»Hören Sie«, rief Hecht, »Ihre Kollegen haben mich heute Morgen in aller Frühe aus dem Bett geklingelt. Ich weiß, was geschehen ist. Aber das Leben geht weiter. Ich habe meine Verpflichtungen.«
»Kommt es Ihnen nicht seltsam vor?«
»Was?«
»Dass Ihre Schwester zu Tode gestürzt ist?«
»Doch, sicher. Aber es ist nun mal passiert. Niemand kann es ändern.«
»Wissen Sie, warum sie dort oben auf der Rheinbrohler Ley war?«
»Ich habe noch nicht einmal gewusst, dass sie dort war. Wie soll ich dann wissen, warum ? Bitte nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass ich kein Interesse daran habe, mich hier auf dem Flur mit Ihnen zu unterhalten.«
»Dann schlage ich vor, wir gehen in Ihre Wohnung. Ich habe herausgefunden, dass sie sich auf der Ley mit jemandem treffen wollte. Und ich wüsste gern, mit wem.«
Hecht machte große Augen. Er wich einen Schritt zurück und ließ die Tür los. »Sie glauben«, sagte er mit zu einem Raunen gesenkter Stimme, »dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist?«
»Lassen Sie uns drinnen weitersprechen.«
Mit der freien Hand machte Hecht eine Geste, dass Fred eintreten sollte, bot ihm drinnen aber keinen Platz an. So blieben sie in der hellen Diele mit Parkettboden stehen. An den Wänden hingen großformatige Porträts großer Komponisten, die allesamt grimmig dreinblickten. Beethoven, Mozart, Bach, Wagner.
»Hören Sie, Herr Hecht. Es ist doch seltsam, dass eine junge Frau wie Ihre Schwester so einfach dort oben heruntergestürzt sein soll. Ich würde gerne einen Blick in ihre Wohnung werfen. Wir müssen herausfinden, wen sie treffen wollte.«
»Sind Sie denn im Besitz eines Durchsuchungsbefehls?«
»Es heißt Durchsuchungs beschluss «, sagte Fred. »Das wäre aber doch nur Verwaltungsaufwand. Ich durchsuche ja nicht. Ich …« Er bemühte sich, das Wort »suchen« zu vermeiden. »Ich schaue mich nur nach Hinweisen um.« Gespannt hielt er die Luft an. Er war erleichtert, dass Hecht keinen Polizeiausweis hatte sehen wollen.
»Guter Mann, es ist unmöglich. Ich habe keinen Schlüssel zu der Wohnung. Es hängt also nicht von meinem guten Willen ab, Ihnen zu helfen.«
»Wenn ich einen Durchsuchungsbeschluss beantrage, werden wir die Tür von einem Fachmann öffnen lassen müssen.«
»Dann beantragen Sie. Kommen Sie von mir aus mit einem Schlüsseldienst zurück und tun Sie, was Sie tun müssen. Aber bitte belästigen Sie mich nicht länger. Ich habe ein Konzert zu geben. Auf Wiedersehen.«
Sekunden später schloss sich hinter Fred die Tür. Bald darauf begann Beethovens Violinkonzert von Neuem.
Unten auf der Straße postierte sich Fred ein Stück weit entfernt, an einer Stelle, von der aus er den Eingang des Hauses im Blick behalten konnte. Nach einer Dreiviertelstunde kam Hecht heraus. Er trug immer noch Rosa. In der einen Hand hatte er einen Geigenkasten, in der anderen eine große Umhängetasche. Er lenkte seine Schritte in Richtung des Ehrenbreitsteiner Bahnhofs.
Bevor die Tür zufallen konnte, war Fred hinübergerannt. Er ging durch den Flur hinaus auf den Hinterhof. Die Arbeiter waren noch nicht zurückgekehrt. Einen
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