Rheinsteigmord - Kriminalroman
Das war sehr illegal. Keine Ausrede möglich.
Er hatte noch nicht einmal einen Schraubenzieher dabei, um die Festplatte herauszuholen. Und mit der ganzen Kiste würde er es sicher nicht die Leiter hinunterschaffen. Die Wohnungstür von innen aufbrechen und mit dem Computer durchs Treppenhaus verschwinden ging auch nicht, das würde garantiert die Aufmerksamkeit der Nachbarn erregen.
Fred klickte auf die einzelne Datei in dem Rockenfeld-Ordner. Der Cursor wurde zu einem kleinen, sich drehenden Rad. Das Logo eines Videoprogramms erschien, und dann begann ein Film.
Er war in Farbe, wirkte aber alt. Zuerst waren Autos zu sehen. Ein weißer VW -Käfer, der vor einem Fachwerkhaus parkte. Leute standen herum und beobachteten etwas.
Feuer!
In einem der Häuser brannte es lichterloh, die rotgelben Flammen schlugen aus den Fenstern.
Die Kamera schwenkte weiter, glitt über behelmte Feuerwehrleute in blauen Arbeitsanzügen und eine Menschenmenge, die zwischen den parkenden Fahrzeugen am Rande einer Weide stand. Ein Schnitt. Noch mehr Häuser brannten. Es schien ein ganzes Dorf zu sein. Schwarzer Qualm strebte in einer riesigen Wolke zum Himmel.
Die Feuerwehrmänner sahen zu, die Arme vor der Brust verschränkt. Daneben die Zuschauer. Manche machten Fotos. Andere lachten. Eine junge Frau probierte aus Spaß einen Feuerwehrhelm auf. Und alle starrten auf den Großbrand. Doch niemand unternahm etwas.
Die Feuerwehr löschte nicht.
Sie betrachtete das Spektakel nur.
Die Szenerie wirkte fast surreal.
Fred versuchte einzuschätzen, wann der Film entstanden war. Ein Zivilist, der sich von der Ansammlung der Autos aus an der Menschenmenge vorbei dem Geschehen näherte, trug einen grauen Anzug mit weißem Hemd und Schlips, dazu einen schwarzen Hut. Eine Brille mit altmodischem Kassengestell.
Siebziger Jahre, vermutete Fred. Die Aufnahme musste mit einer Super-Acht-Kamera gedreht und später digitalisiert worden sein.
Erst jetzt kam Fred auf die Idee, die Computerlautsprecher einzuschalten, die links und rechts des Monitors standen. Doch es gab keinen Ton. Der Film war stumm.
Nach drei Minuten war er zu Ende. Fred sah noch, wie lachende Feuerwehrmänner vor den rauchenden Ruinen feixten. Als würden sie sich freuen, einmal verkehrte Welt spielen zu können.
Fred klickte sich durch die Ordner im PC und fand die verschiedensten Dokumente, hauptsächlich Artikel und Recherchematerial. Es gab eine Reportage über die Bundesgartenschau, angereichert mit vielen Fotos in einem Verzeichnis. Einen Beitrag über die Koblenzer Universität. Einen anderen über die Einweihung eines neuen Gebäudes an einem Neuwieder Krankenhaus.
Die Bilder von dem brennenden Dorf gingen Fred nicht aus dem Sinn. Es konnte doch kein Zufall sein, dass gerade dieser Ordner offen gewesen war.
Er öffnete den Internetbrowser und versuchte herauszufinden, welche Seiten Daniela Hecht zuletzt besucht hatte.
Der Verlauf nannte die Onlineseiten verschiedener Nachrichtenmagazine und Zeitungen. Einige Websites kannte Fred nicht. Es waren spezielle Seiten mit Nachrichten über kulturelle und historische Themen. Er rief sie alle auf, aber die Stichwörter aus den Ordnern kamen darauf nicht vor.
Schließlich suchte Fred das Mailprogramm. Er fand keins. Hatte der Einbrecher es deinstalliert? Oder hatte Daniela Hecht einen Online-Account benutzt?
Okay, dachte er. So weit die digitale Welt. Versuchen wir es mit der analogen.
Er wühlte in den Zetteln und Papieren, die den Schreibtisch bedeckten. Kopien von Zeitungsartikeln, handschriftliche Notizen, Pressemitteilungen. Hier war nicht zu unterscheiden, ob das Chaos von dem Einbrecher oder von Daniela Hecht selbst stammte. Auf einigen Zetteln standen kurze Wörter, Namen oder Zahlenkolonnen, die Fred für Telefonnummern hielt. Unter dem Schreibtisch suchte er weiter. Daniela Hecht hatte ihr Altpapier nicht in einem Papierkorb entsorgt, sondern einen Karton benutzt.
Die meisten Notizzettel stammten von einem karierten Block, der neben einem Becher mit Stiften auf dem Tisch lag. Fred kam auf die Idee, den ältesten Detektivtrick der Welt zu probieren. Er nahm einen Bleistift und schraffierte leicht das oberste Blatt. Die letzte Notiz wurde sichtbar.
Erst glaubte Fred, das Wort »Erdbeben« zu lesen, aber dann fand er, dass es eher »Erdgeist« heißen musste. Nein. Er fuhr die Linien nach und verglich die Buchstaben mit anderen Notizen aus dem Abfallkarton.
Da stand »Erbschaft«.
Ganz sicher.
Ein lautes Rasseln
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