Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
mit jeder Minute, die verstrich, wahrscheinlicher wurde, dass Hesse mit der Wahrheit herausrückte, da die Entzugserscheinungen ihm immer mehr zusetzen würden und auch noch so wichtige Vorsätze und Ausreden verdampfen ließen. Allerdings mussten sie vorsichtig vorgehen und durften den Bogen nicht überspannen. Andernfalls würde Hesse alles gestehen, was man ihm vorwerfen würde. Selbst die Ermordung Kennedys.
»Ich habe doch bereits gesagt, dass ich keine Ahnunghabe, wie der Typ dort hingekommen ist oder wie lange er schon dort lag. Das ist die Wahrheit. Ich habe damit nichts zu tun. Ich habe ihn dort gefunden und habe sofort die Polizei angerufen.«
Seeberg verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich entspannt gegen die Rückenlehne des Stuhls. Eine ganze Weile verharrte er schweigend. Für Hesse schien dieses Schweigen unerträglich zu sein. Schließlich löste sich Seeberg wieder aus seiner Position und wischte sich mit seinen Händen über das Gesicht.
»Also nochmal. Sie sind bei ihrem Abendspaziergang zufällig am Gewächshaus vorbeigekommen und dachten sich, dass Sie mal reinschauen, wenn Sie schon in der Nähe sind. Und dort haben Sie dann zufällig den Toten entdeckt.«
»Ja.«
»Verstehe. Sie sind wohl so was wie ein Naturliebhaber und wollten sich die Pflanzen des Gewächshauses mal bei Nacht anschauen.«
Hesse nickte und rieb sich die feuchten Hände.
»Genau, so war es.«
Seeberg schnellte auf seinem Stuhl nach vorn.
»Mensch, Hesse, Sie wissen wohl nicht, dass Sie hier unter Mordverdacht stehen. Dort liegt ein ermordeter Beamter des Bundeskriminalamts im Gewächshaus, übersät mit Fingerabdrücken von Ihnen. WennSie uns jetzt also nicht ganz schnell die Wahrheit sagen, gehen Sie wegen Mordes für verdammt lange Zeit in den Bau. So schaut’s aus.«
»Mord? Aber ich habe doch die Polizei gerufen. Warum sollte ich das denn tun, wenn ich …«
Kohler stand auf, ging um den Tisch und legte dem Verdächtigen eine Hand auf die Schulter. Er sprach mit ruhiger Stimme auf Hesse ein.
»Junge, du warst total zugedröhnt und konntest keinen klaren Gedanken mehr fassen. Das winkt der Staatsanwalt sofort durch.«
»Aber …«
»Was denkst du, Klaus? Wie viel Jahre wird er kriegen?«
Der Kommissar zuckte die Schultern. Er kannte das Spiel, das Kohler und er zur Perfektion beherrschten. Kohler war also in die Rolle des Guten geschlüpft. Für ihn selbst blieb der böse Bulle übrig. Die Verteilung war ihm so auch lieber.
»Ein Junkie wie er? Wenn er Glück hat, fünfzehn Jahre.«
»Was?« Hesse rieb sich immer nervöser die Hände. »Aber …«
Kohler beugte sich zu Hesse hinunter. »Wenn er das sagt, müssen wir das glauben. Er kennt sich damit wirklich gut aus. Ist ein verdammter Experte für solche Fälle. Aber mach dir da mal keine Gedanken.Dein Anwalt wird sicherlich wegen der Drogen auf Totschlag und Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Mit etwas Glück bist du schon nach zehn Jahren wieder draußen.«
»Zehn Jahre?«
Seeberg war wieder an der Reihe und legte nach.
»Weißt du, Reinhard, die Frage ist nur, wie Herr Hesse den kalten Entzug hinter Gittern verkraftet. Das macht die meisten echt fertig.«
Kohler zog die Luft zwischen seinen Zähnen zischend ein, als hätte er sich gerade an etwas geschnitten.
»Ah, das stimmt leider. Und so ein junger Bursche wie er wird bestimmt gerne im Duschraum willkommen geheißen. Da fällt mir gerade ein: Sitzt der alte Jack noch immer ein?«
»Jack? Der einsame Jack, der jeden Neuankömmling mit einer Dose Schmieröl zu sich in die Zelle einlädt? Ja, der sitzt noch. Der hat doch lebenslänglich bekommen. Jack kommt nicht mehr raus. Dem ist jetzt alles egal.«
Hesse schluckte. »Aber ich habe doch gar nichts getan. Ich habe niemanden umgebracht. Das wüsste ich doch.«
»Ach, Sie wissen doch gar nichts mehr!« Seeberg stand auf und ging hinter dem Verdächtigen in dem Verhörraum auf und ab, während sich Kohler wiederan den Tisch setzte. »Ich will Ihnen sagen, was vorgefallen ist. Meiner Meinung nach waren sie auf Turkey, ähnlich wie jetzt. Kaltschweißig, kurzatmig, nervös. Total durchgeknallt. Wir wissen doch, wie das ist. Alles drehte sich um den nächsten Schuss. Sie mussten dringend an Geld kommen, und zwar schnell. Wahrscheinlich waren sie zu Fuß auf dem Weg Richtung Bahnhof zu ihrem Dealer, als Ihnen in Höhe des Gewächshauses das spätere Opfer entgegen kam. Das klingt doch plausibel, Reinhard, oder?«
Seeberg drehte sich
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