Rhosmari - Retterin der Feen
verpassen.«
Rhosmari schwieg. Eine Gruppe von Menschen ging an ihnen vorbei und sie schlang die Arme fester um die Brust. Wie hätte sie Martin erklären sollen, was sie bewegte, selbst wenn sie es gewollt hätte? Sie konnte ihren tief empfundenen Gerechtigkeitssinn und ihre Abneigung gegen Gewalt und Betrug nicht in Worte fassen. Einerseits war sie auf ihre Mutter wütend, weil die ihr nicht genauer gesagt hatte, wie die Menschen waren, andererseits war sie wütend auf Martin, weil der es ihr gesagt hatte. Sie war wütend, weil die Menschen so grausam und unwissend waren, und sie war auf den Teil in ihr wütend, der trotz allem weiter hoffte, dass ein ganz bestimmter Mensch vielleicht anders war …
»Rhosmari, sag mir, was du hast.« Martin streckte den Arm aus, aber sie wich vor ihm zurück, und er ließ die Hand fallen. »Wie kann ich dir helfen?«
Sie schüttelte den Kopf. Er sollte doch verstehen, dass das alles nichts mit ihm zu tun hatte – zugleich wünschte sie, er würde sie allein lassen. Wenn er noch weiter in sie drang, verlor sie womöglich noch richtig die Beherrschung, und danach bereute sie es und es ging ihr noch schlechter.
»Du findest also immer noch nicht, dass du mir vertrauen kannst.« Seine Stimme klang müde und bitter. »Ich begleite dich seit Tagen, helfe dir und passe Tag und Nacht auf dich auf. Was muss ich noch tun, um dein Vertrauen zu verdienen? Menschliche Vorurteile erschrecken dich, aber du selber urteilst nicht weniger hart über andere Feen, wie mir scheint.«
Rhosmari fuhr hoch. »Das stimmt nicht!«
»Nein? Warum hast du mir dann nie von dir erzählt, wie ich es von mir getan habe? Ich muss raten, woher du kommst, warum du hier bist und was du willst – und selbst wenn ich dein Spiel mitspiele, willst du mir nicht sagen, ob ich richtig getippt habe oder nicht.«
Er ging mit geballten Fäusten vor ihr auf und ab. »Liegt es daran, dass ich früher der Kaiserin gedient habe? Ich konnte mir nicht aussuchen, wo ich geboren wurde, und ich habe mich nicht freiwillig in ihre Macht begeben. Oder liegt es daran, dass ich im Zug mit einer falschen Fahrkarte gefahren bin? Dir fällt es vielleicht leicht, ehrlich zu sein, weil du aus einer wohlhabenden, reichen Welt kommst. Aber ich bin auf den Straßen von Brixton aufgewachsen und musste für alles, was ich habe, blutige Kämpfe ausfechten.«
»Martin, ich …«, begann Rhosmari, doch im selben Moment zuckte Martin zusammen und fasste sich ans Ohr.
»Wir müssen verschwinden«, sagte er mit einem scharfen Blick zum nächtlichen Himmel. Ohne auf Rhosmaris Antwort zu warten, packte er sie an den Schultern, zog sie nach oben und gab ihr einen Schubs. »Los!«
Rhosmari stolperte und wäre fast gestürzt. Martin hielt sie und richtete sie auf, dann nahm er ihre Hand und begann zu laufen. Sie rannten mitten durch eine Gruppe junger Menschen hindurch, die schimpften und ihnen empört nachsahen, und bogen um eine Ecke in eine Nebenstraße ein. Rhosmari wollte Martins Hand abschütteln, aber er hatte die Finger wie eine Handschelle um ihr Handgelenk geschlossen, und gegen die Schmerzen half nur, schneller zu rennen.
»Wohin … laufen … wir?«, keuchte sie. Martin blieb so plötzlich stehen, dass sie in ihn hineinstolperte. Wenige Schritte vor ihnen standen zwei schwarzhaarige, fast identisch aussehende Feen und versperrten ihnen den Weg. Sie lächelten und blickten ihnen spöttisch und zugleich drohend entgegen.
»Was für eine schöne Überraschung«, sagte der eine Schwarze Flügel. »Wir sollen im Auftrag der Kaiserin zuerst eine Fee jagen und dann eine andere und auf einmal stehen beide vor uns.«
»Wirklich«, bekräftigte sein Bruder. »Das entschädigt einen fast für die vielen Tage, die wir Aas fressen mussten.« Er leckte sich die Lippen und lachte.
Martin stellte sich vor Rhosmari. »Mach dich bereit wegzurennen«, flüsterte er. Er straffte sich und sah die beiden Schwarzen Flügel an. »Wie habt ihr uns gefunden?«
Der Größere der beiden hob die Augenbrauen. »Muss ich diese Frage wirklich beantworten, Martin? Obwohl es natürlich lustig wäre zu sehen, wie du reagierst, wenn ich es tue.« Seine Augen wanderten zu Rhosmari. Sie funkelten hämisch. »Du hast dir den falschen Begleiter gewählt, Mädchen. Er ist ein Feigling und denkt nur an sich.«
»Spar dir die Worte, Corbin«, sagte Martin. »Sie vertraut mir sowieso nicht.« Er ließ Rhosmaris Hand fallen und trat zur Seite. »Was haltet ihr von einem
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