Richard Dübell
Seine Gedanken überschlugen sich derweil. Mit einer Patrone dieses Kalibers war allem Dafürhalten nach Natalie Seitz erschossen worden.
»Sie wissen das besser als ich«, sagte Marko steif.
Peter hätte schwören können, dass er einen Moment lang noch etwas hinzufügen wollte, dann seufzte er jedoch nur und schaute seinen Kindern zu.
»Meine Tante hat Pech gehabt«, sagte er nach einer kleinen Weile. »Sie hat ein Arschloch geheiratet, einer ihrer Söhne war ebenfalls ein Arschloch, und der eine, der halbwegs normal war, hat das Weite gesucht, so schnell er konnte.«
Peter sah ihn überrascht an. Der Ausbruch war aus heiterem Himmel gekommen. Marko Klopek breitete die Arme aus. »Entschuldigen Sie den großzügigen Gebrauch des Worts Arschloch«, sagte er. »Aber er war in unserer Familie üblich, wenn es um die Familie meiner Tante ging. Im Nachhinein lässt sich feststellen, dass es keinen zutreffenderen gibt. Und glauben Sie mir, ich hab mir darüber viele Gedanken gemacht. Ich bin Psychotherapeut von Beruf.«
»Was war das Problem?«
»Sind Sie beide aus Landshut?«
»Wir kennen den Einfluss von Tristan Heigl auf die Öffentlichkeit, wenn Sie das meinen«, sagte Flora.
Marko nickte. »Das meine ich. Mein Onkel war eigentlich ein Fall für einen Therapeuten, aber die Leute seiner Generation würden nicht mal zu einem Therapeuten gehen, wenn ihnen jemand Geld dafür gäbe.«
»Er hatte ein starkes Interesse an der Vergangenheit«, bestätigte Peter und wählte bewusst eine vorsichtige Formulierung.
Marko Klopek schnaubte erwartungsgemäß voller Verachtung. »Er war besessen, glauben Sie mir! Entweder hörte man ihn über irgendwelche historischen Fakten dozieren oder sich darüber aufregen, dass es seine Aufgabe wäre, seinen Namen endlich reinzuwaschen.«
»Wie dürfen wir das verstehen?«, fragte Flora, nachdem sie Peter einen erneuten Seitenblick zugeworfen hatte, diesmal einen überraschten.
»Das fragt man sich in der heutigen Zeit, nicht wahr? Den Namen reinwaschen! Was für ein antiquiertes Prinzip. Als ob irgendetwas, was irgendein Vorfahre irgendwann mal getan hat, sich auf Generationen auswirken würde.«
»Ist das nicht ein esoterisches Prinzip, dass man die Schuld seiner Vorfahren mit sich herumschleppt?«
Marko Klopek seufzte. »Ja, das ist eine Denkrichtung, mit der auch viele meiner Kollegen arbeiten. Wissen Sie – wenn Menschen zu einem Therapeuten kommen, haben sie bereits genug Probleme, da braucht man ihnen nicht auch noch die Schwierigkeiten aufzuhalsen, die ihr Ururopa angeblich mal gehabt hat. Ich finde, man sollte zuerst die Gegenwart aufarbeiten, bevor man damit anfängt, in der Vergangenheit herumzustochern. Wenn Sie jemandem, der ohnehin schon angeknackst ist, auch noch die echte oder erfundene Bürde eines Familienfluchs«, Marko Klopek zeichnete mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft, um ihnen zu zeigen, was er von Konzepten wie einem Familienfluch hielt, »aufladen, was passiert dann? Er läuft Gefahr, ganz auseinanderzubrechen.«
»Wovon wollte Ihr Onkel denn seinen Familiennamen reinwaschen?«
»Ich kann Ihnen das nicht genau sagen. Ich ging ihm bei den wenigen Familienfeiern immer aus dem Weg, und wenn meine Eltern darüber redeten, hab ich nicht wirklich aufgepasst. Mich hat das immer belastet, zu wissen, wie verkorkst meine Verwandten waren, und die Verbissenheit, die dort drüben«, er deutete vage in Richtung des Heigl-Hauses, »Tag und Nacht herrschte. Das Schlimmste für mich war, dass ich meine Tante wirklich gemocht habe; und ich konnte sehen, wie anders und befreit sie jedes Mal wirkte, wenn sie mal ohne meinen Onkel bei uns war. Es war so deutlich, dass ich es sogar als Kind und als Teenager bemerkte. Sie war außerdem meine Taufpatin.«
Peter sah sich im Garten um. Alles, was er sah, wirkte harmonisch und darauf ausgelegt, ein gutes Familienumfeld zu schaffen. Nur was seine Ehefrau anging, schien Marko Klopek danebengelangt zu haben.
Vom Planschbecken her rief Markos Tochter: »Mama, schau mal – wie hoch!« Ein glitzernder Wasserstrahl schoss aus ihrer Wasserpistole in die Höhe, brach sich an der Spitze und prasselte wieder ins Becken. Karoline Petersen-Klopek, die in den Garten gekommen war, schüttelte den Kopf, aber sie lächelte. Auf einem Tablett standen vier Wassergläser und eine Karaffe. Sie brachte sie zum Tisch und setzte sich dazu.
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich vorhin so ruppig war«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was in
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