Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
in Verbindung gebracht. Und daß Nebenwirkungen sich rascher einstellten als die endgültige Genesung, erschien ihm eigentlich nur logisch. Einer jeden Lösung und Erlösung war ein Problem oder eine Qual vorgelagert, so wie sich ja auch ganz grundsätzlich vorweg das anstrengende Leben ereignete und dann erst der befreiende Tod.
Er erhob sich mühsam und trat abermals unter die Dusche, wobei er zum ersten Mal in seinem Leben die Unart beging, zu rauchen, noch während der Wasserstrahl auf seinen Körper prasselte. Die knapp an den Filter gerauchte Zigarette legte er nach Beendigung der Dusche auf den Rand jener kleinen, emaillierten Aushöhlung, die üblicherweise der Ablage der Seife dient, wo sie nun, die Zigarette, in der bekannten Weise verschied.
Er trat ins Zimmer und schlüpfte in seine Wäsche, die jetzt über jene zerfurchte Konsistenz ehemals verschwitzter, nun aber staubtrockener Kleidung verfügte. Lukastik sehnte sich nach einem frischen Hemd und frischer Unterwäsche, doch schien ihm der Moment ungeeignet, eine diesbezügliche Anstrengung zu unternehmen. Er sah auf die Uhr. Es ging auf halb acht zu. Ein deutlicher Hunger machte sich bemerkbar, weshalb er nach unten ins Restaurant stieg.
Das Hotel war nun zum Leben erwacht. Im Foyer tummelten sich zumeist ältere Menschen, die alle schrecklich gesund aussahen, gewissermaßen »rasiert« von der vielen Sonne und der vielen guten Luft. Die Männer in Sportsakkos und Polohemden, die Frauen in sommerlich leichten Kleidern. Nur vereinzelt verriet das Tragen eines Verbandes oder das Hinken eines Fußes, daß auch Rekonvaleszente hier ihren abendlichen Vergnügungen nachgingen. Obgleich das Gewirr der Stimmen im Rahmen der atmosphärischen Dämpfung blieb, war deutlich die allgemeine Erregung zu spüren, wie sie typisch für Kurhotels ist, wenn der Abend hereinbricht und ein Gefühl der Euphorie die von der Hitze geradezu aufgeladenen Körper erfaßt. Euphorie angesichts von Alkohol oder prognostizierten Liebesabenteuern oder auch nur in Erwartung der Möglichkeit, eine bewährte Anekdote zum besten zu geben.
Aus Lukastiks Anzugtasche heraus schrillte sein Handy. Er zog sich in eine der beiden Telephonkabinen zurück, welche noch aus alten Zeiten stammten, mit vorsintflutlichen Münzgeräten ausgestattet waren und ansonsten das karg-schwülstige Flair von Beichtstühlen verströmten. Es wurde Lukastik nicht einmal bewußt, wie überaus passend es war, sich zum telephonieren ausgerechnet in eins dieser Kämmerchen begeben zu haben, obgleich natürlich die kühle Luft des Foyers hier drinnen kaum noch bestand.
Erneut war der Major am Telephon. Er teilte mit, sich die beiden Buchseiten sowie das gesamte dazugehörige Kapitel aus Oborins Handschrift und Lüge habe faxen lassen. Wie auch die Fotographie, die sich darin befunden hatte. Wenn Lukastik wolle, könne man ihm die Papiere stante pede übermitteln. Die Faxnummer des Hotels sei bereits bekannt.
Lukastik bejahte. Nur wenig später hielt er die Unterlagen in Händen, betrachtete sie aber nicht sofort, sondern faltete die Papiere, um sie zwischen den Seiten seines Tractatus unterzubringen. Danach wechselte er hinüber ins Restaurant, das erst zu einem Drittel besetzt war.
Ein Kellner empfing Lukastik. Der älteste und zittrigste Kellner, den Lukastik je gesehen hatte. Es drängte sich die Frage auf, wie es arbeitsrechtlich überhaupt möglich war, einen derartigen Greis öffentlich zu beschäftigen. Jedenfalls meinte Lukastik, es hier quasi mit der »Mutter« aller Kellner zu tun zu haben, der erhalten gebliebenen Urform servierenden Personals. Wobei dieser Mann nicht etwa stotterte oder eine gebeugte Haltung einnahm. So uralt er wirkte, machte er einen rüstigen Eindruck. Seine Bewegungen wie seine Stimme hatten etwas Tänzerisches und Leichtfüßiges, als er Lukastik an einen kleinen, etwas separierten Fenstertisch führte. Übrigens sprach auch er den Chefinspektor mit Namen und Titel an.
Es hatte etwas Rührendes, als dieser vitale Greis nun im leiser werdenden Ton der Vertrautheit davon abriet, den Fasan oder die Forelle zu bestellen, nicht etwa, weil etwas damit nicht in Ordnung sei, Gott behüte, aber Fasan und Forelle müsse man generell als überbewertet ansehen, wie eigentlich die meisten Gerichte, denen das Feierliche anhänge und deren Geschmack ja auch des öfteren an Feiertage oder feierliche Anlässe erinnere. Somit immer ein wenig übertrieben erscheine, immer ein wenig à la
Weitere Kostenlose Bücher