Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Geburtstagstorte. Weshalb man, so der Kellner, als gewissenhafter Berater seiner Gäste eigentlich keinen Fasan und keine Forelle empfehlen könne.
»Sondern?« fragte Lukastik ganz ergeben, keine Sekunde die Autorität dieses alten Mannes in Frage stellend, auch wenn ihm der Vergleich mit einer Torte ganz schön haarig erschien.
»Ich empfehle Ihnen die Krautfleckerl.«
»Ein Gericht sozusagen nach Ihrem Geschmack.«
»Jawohl, nach meinem Geschmack«, erklärte der Kellner selbstbewußt, »ein Essen, bei dem man keine Sekunde an eine Geburtstagstorte zu denken braucht. Aber wenn Sie lieber …«
»Ich verlasse mich ganz auf Sie. Die Krautfleckerl also.«
»Gerne, Herr Chefinspektor. Ich denke, auf eine Suppe kann man bei diesem Wetter verzichten.«
»Absolut.«
»Überhaupt sollte man sich völlig auf die Krautfleckerl konzentrieren. Menüfolgen sind auch so ein feierliches Übel. Gut fürs Geschäft, aber ein Unglück für die Geschmacksnerven. Als wollte man aus einer Mahlzeit einen Mehrkampf machen.«
»Krautfleckerl reichen völlig aus«, versicherte Lukastik, »vorausgesetzt wir reden von einer großen Portion.«
»Davon reden wir«, bestätigte der Kellner und fügte an: »Dazu ein Weißwein aus der Gegend. Kein großer Name. Und sicher kein tiefschürfender Geschmack, der tausenderlei Bilder hervorruft. Aber eben aus der Gegend. Ein Kind des Himmels, unter dem wir uns gerade befinden. Nicht, daß wir nicht teure Weine hier hätten. Ich kann Ihnen selbstverständlich unseren Sommelier vorbeischicken.«
»Keinen Sommelier, bitte!« sagte Lukastik mit ehrlichem Widerwillen. »Wein aus der Gegend klingt ausgezeichnet.«
Der Kellner nickte mit einer seitlichen Drehung des Kopfes und entließ ein Lächeln, mit dem er Lukastik in den erlauchten Kreis jener Gäste aufnahm, die hier zu den Freunden des Hauses zählten. Und zwar nicht deshalb, weil Lukastik irgendeine Ahnung von Speisen und Weinen bewiesen hätte, das nun wirklich nicht, sondern indem er sich den Anschauungen des Oberkellners überlassen und somit dessen Bedeutung erkannt, zumindest erahnt hatte. Dieses Erahnen oder Erkennen bestimmte das Niveau. Und nichts anderes. Gäste, die hier auf Weltmänner machten und die Ranglisten prämierter Weine auswendig aufsagen konnten, wurden zwar nicht schlechter behandelt, jedoch begegnete ihnen das Personal mit jener höflichen Distanz, mit der man einem Politiker die Hand schüttelt, den man gar nicht gewählt hat. Und mit Sicherheit wurden solche Gäste kein zweites Mal von jenem greisen Chef de service empfangen.
Erst als Lukastik sein Glas Weißwein serviert bekommen und daran genippt hatte – woraus weder eine Begeisterung noch eine Enttäuschung resultierte –, öffnete er seinen Tractatus und nahm die gefalteten Kopien, die er vor sich auf dem Tisch ausbreitete.
Anders als in der Beschreibung, die Major Albrich geliefert hatte, handelte es sich bei der Fotographie nicht um die eines einzelnen Hais, sondern einer ganzen Gruppe, wobei allerdings im Detail tatsächlich nicht viel zu erkennen war. Ganz im Gegensatz zu jenen wohl künstlerisch gemeinten Aufnahmen, die in Erich Slatins Wohnung hingen, war dieses Bild einfach mißlungen. Oder eben auch bloß ein Resultat miserabler Aufnahmebedingungen. Ebensowenig konnte von einem Schwarzweißfoto die Rede sein. Vielmehr tendierte ein jeder Farbton ins Dunkle, ins Gräuliche und Schwärzliche, wobei möglicherweise auch im Zuge zweimaliger Vervielfältigung die Qualität eingebüßt hatte. Am unteren Rand war die obere Hälfte einer Rückenflosse auszumachen, die sich halbwegs prägnant vom Hintergrund abhob. Dahinter ergaben sich die undeutlichen, aber kompletten Gestalten zweier Tiere, während ein drittes Exemplar gerade aus dem Bild schwamm und sich nur noch mittels seiner Schwanzflosse verriet. Tief im Hintergrund waren einige Flecken zu erahnen, die aber derart mit dem Dunkel verwoben waren, daß unklar blieb, ob es sich um weitere Haie oder bloß irgendwelche Felsen handelte. Von den beiden halbwegs deutlich wahrzunehmenden Tieren schwamm das eine in einer frontalen, aber leicht schrägen Position. Daraus folgte die Möglichkeit, jene stumpfe Schnauze auszumachen, wie sie für den Gemeinen Grundhai als typisch gilt.
Soweit war also auch Lukastik bereits zum Experten gediehen, daß er mit einiger Sicherheit die Fische auf diesem Foto jener Art zuordnen konnte, die man für den Tod des Graphologen Oborin verantwortlich machte. Zumindest
Weitere Kostenlose Bücher