Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Dr. Paul und präsentierte ein winziges, kieselsteinartiges Gebilde, das einen metallischen Schimmer besaß. »Ein typischer Hautzahn.«
»Hautzahn?«
»Ich hatte selbst keine Ahnung und mußte schnell einmal im Internet nachschlagen. Mir ist das immer ein bißchen peinlich.«
»Was ist Ihnen peinlich? Ins Internet gehen?«
»Ja«, bestätigte Dr. Paul. »Es hat etwas von einer Schummelei an sich. Als beziehe man sein Wissen aus einer verbotenen Zone. Als wildere man im Revier der Ungebildeten und Unsportlichen, die sich quasi auf Tastendruck bedienen wie in einem Supermarkt.«
»Und in diesem Supermarkt sind Sie also auf Hautzähne gestoßen«, folgerte Lukastik.
»Plakoidschuppen«, präzisierte Dr. Paul, »auf denen schöne, ungemein harte Emailzähnchen aufsitzen. Eine wirklich praktische Einrichtung: vermindert die Reibung und schützt wie ein Kettenhemd. Denn auch so ein Hai besteht ja aus einer einzigen fleischlichen Verletzbarkeit. Man vergißt das gerne, wenn man die Viecher sieht. Haie sind keine Insekten, nicht wirklich robust, eher sensibel, scheu und träge. Melancholisch. Die meisten gehören zu den Lebendgebärern, noch dazu mit langer Tragezeit. Das erzwingt geradezu die Melancholie.«
»Das ist jetzt aber nicht mehr sehr wissenschaftlich«, stellte der Kriminalist fest.
»Stimmt. Ich vergesse mich. – Also! Ich habe im Körper des Toten Fragmente von Gebißzähnen und Hautzähnen eines Hais entdeckt. Die Größe und Art der Verletzungen sowie der Umstand, daß unserem Toten nicht bloß eine Hand, sondern auch gleich ein ganzes Bein abgerissen wurde, setzt eine gewisse Größe des Fisches voraus. Gleichzeitig brauchen wir schon angesichts der geringen Wassertiefe des Beckens keine von den filmreifen Sechsmeterphantasien zu entwickeln.«
»Angesichts eines Beckens mit gechlortem Süßwasser sollten wir eigentlich gar keine Phantasien entwickeln können.«
»Ich bin Ihrer Meinung. Der Mann wurde anderswo getötet. Und natürlich müssen wir davon ausgehen, daß ihm die markanten Verletzungen auf künstlichem Wege beigebracht wurden. Daß jemand fein und säuberlich und fachkundig – hoffentlich nicht zu fachkundig – einen Angriff durch einen Hai vorgetäuscht hat, Bein und Hand in Haimanier abgetrennt und Segmente eines Haikörpers dem Toten appliziert hat.«
»Und das viele Blut?«
»Viel? Ich würde sagen viel zu wenig. Wäre der Mann in diesem Bassin auf diese Weise getötet worden, hätten wir ihn aus einer roten Suppe ziehen müssen und nicht aus einem leicht verfärbten Wässerchen. Einer hellen Brühe. Nein, von viel Blut kann wirklich nicht die Rede sein. Eher davon, daß es sich so ziemlich ausgeblutet hatte, als man den Toten umquartierte. Trotzdem war die Leiche … nun, man kann sagen, sie war frisch.«
»Und das heißt?«
»Daß der Mann in derselben Nacht, wahrscheinlich sogar während der zweiten Nachthälfte zu Tode kam. Es muß alles sehr schnell gegangen sein, die Präparation in Richtung auf einen Haiangriff und die Beförderung an den neuen Ort. Zwischen zwei und vier in der Frühe, schätze ich.«
»Prämortale Verletzungen? Eigentlicher Todesgrund?«
»Schwer zu sagen. Am ehesten ist der Mann während seines Todeskampfes ertrunken. Jedenfalls deutet nichts darauf hin, daß er die längste Zeit tot oder zumindest betäubt gewesen war, als die vermeintliche Haiattacke erfolgte.«
»Ertrunken?«
»Vielleicht wurde er anfänglich untergetaucht und erstickt und erst daraufhin die Amputation und die Zufügung simulierter Bißverletzungen vorgenommen. Vielleicht geschah alles gleichzeitig. Nicht auszuschließen, daß der Täter auch den Todeskampf eins zu eins nachgestellt hat.«
»Wie denn? Etwa als Weißer Hai kostümiert?«
»So weit würde ich nicht gehen. Wenngleich im Bereich der Rollenspiele einiges denkbar ist.«
»Hinweise auf Sex?«
»Der Bereich des Anus ist unbeschadet, wenn es das ist, was Sie hören möchten. Auch sonst keine Verletzungen, die über das Wirken eines Hais hinausgehen würden. Keine veralteten Hämatome, keine Einstiche, die Genitalien unauffällig, die Mundhöhle unversehrt. Ich spreche von einer ersten Untersuchung. Wir werden da noch ins Detail gehen müssen. Ich glaube aber nicht, daß wir auf eine sexuelle Komponente stoßen werden. Beziehungsweise hoffe ich das. Ehrlich gesagt, nervt mich alles Sexuelle. Und vor allem das Sexuelle im Verbrechen.«
»Wir können uns das nicht aussuchen.«
»Man kann einiges übersehen,
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