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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sie putzend und polierend zu begreifen, wie man hin und wieder den Gang der Welt oder einfach die Natur begreift, um jetzt nicht von Gott zu sprechen. Wenn Jordan mit einem weichen, angefeuchteten Lappen über die metallenen Flächen fuhr, dann drang er in die Seele dieser Küche vor. Denn natürlich besitzen auch Küchen eine Seele, sicher viel eher als Autos oder Flugzeuge oder Krokodile. Es mag Küchen geben, die mehr Seele besitzen als so mancher dumpfe Bürger. Und hätte es eines Beweises für eine solche Ansicht bedurft, so hätte Jordan wohl erklärt, daß er ja nicht nur diese seine Küche verstehe, sondern sich umgekehrt auch von ihr, der Küche, verstanden fühle. Noch nie aber von einem Krokodil oder dumpfen Bürger. Was mit Liebesersatz nichts zu tun hätte. Auch nichts mit esoterischem Eifer. Sondern allein mit der Einfachheit im Verhältnis zwischen Mensch und Küche, zumindest dann, wenn diese Küche funktionierte. Und am besten funktionierte natürlich eine Küche, deren Geräte man so selten wie möglich in Betrieb nahm, sich aber gerne in ihr aufhielt.
    Beinahe eine ganze Stunde lang saßen Jordan und Kosáry schweigend in ihren Stühlen und genossen die Stille, die sich daraus ergab, daß die hohen, atelierartigen Fenster hinaus auf eine Anlage mehrerer kleiner Schrebergärten wiesen, in denen ausnahmslos Rentner ihre Freizeit verbrachten und einen erbitterten Wettstreit darum führten, wer von ihnen der ruhigste Mensch auf Erden sei. Selbst wenn jemand einen Ast durchsägte oder einen Nagel ins Holz schlug, geschah dies so gut wie geräuschlos. Die Gärten unterhalb von Jordans Küche bildeten einen wirklichen Ozean der Stille, und es schien, als trauten sich nicht einmal die Vögel hier aufzumucken.
    Kurz nach zwölf läutete das Telephon. Es war Major Albrich, der Jordan anwies, Esther Kosáry innerhalb der nächsten Stunde im Büro abzuliefern. Dort werde eine Beamtin die Ungarin befragen, auch wenn davon wenig zu erwarten sei.
    »Das glaube ich auch«, sagte Jordan.
    »Ich will nur«, erklärte Albrich, »daß wir auf der Zielgeraden keine Fehler machen, nicht über die eigenen Beine stolpern. Für sechs Uhr ist geplant, daß wir uns alle zusammensetzen, Sie und Lukastik, auch Frau Boehm, und besprechen, wie dieser Fall, dieser gelöste Fall der Öffentlichkeit präsentiert werden soll.«
    »Was ist mit unserem Pressesprecher?«
    »Den möchte ich vorerst aus dem Spiel lassen«, sagte Albrich. »Sie wissen ja selbst, wie ungeschickt dieser Mensch ist. Ein Stolperer par excellence.«
    »Stimmt!« bestätigte Jordan.
    »Dann ist also alles klar?«
    Jordan seufzte leise, sagte aber: »Ja«. Er sprach in etwa wie ein Kind, das frühzeitig ins Bett geschickt wird. Dann verabschiedete er sich und legte auf.
    Kurz nach eins lieferte Jordan die Ungarin ab. Als er sich von ihr verabschiedete, gab sie ihm – noch bevor er sich hatte abwenden oder wehren können – einen Kuß auf die Wange. Dabei lachte sie auf eine tonlose Weise, wie ein Tier, das seine Zähne zeigt. Jordan lief rot an, sah sich um und stellte mit einiger Erleichterung fest, daß niemand von den Leuten, die im Gang standen, herübergesehen hatte. Er faßte Kosáry ein wenig fester als nötig am Arm und schob sie in den Raum hinein, in dem bereits der Major und eine Frau warteten. Der Major empfing Esther Kosáry wie einen Ehrengast, war untröstlich in bezug auf Lukastiks Alleingang und beeilte sich zu betonen, daß hier und jetzt weder ein Verhör noch eine Zeugenbefragung geplant seien, sondern man allein darum bemüht sei, unter freiwilliger Mithilfe verschiedener Personen sich ein vollständiges Bild vom Leben des zu Tode gekommenen Tobias Oborin zu verschaffen. Dann sprach er sein Beileid aus, wobei er einen Moment innehielt, als überlege er, ob sich dies im Falle einer derart jugendlich wirkenden Lebensgefährtin überhaupt gehöre.
    Jordan kehrte dieser Situation den Rücken, verließ wortlos den Raum und ging in sein Büro, das jenem Lukastiks benachbart war und welches er mit zwei weiteren Kollegen teilte, die jedoch beide ihren Sonntag so verbrachten, wie es sich gehörte, nämlich das Feuer eines Grills entfachend.
    Bei der Vorstellung roher Fleischstücke, die auf einem verdreckten Gitter zu schwitzen begannen, deren Blut kochte und Bläschen bildete, schüttelte es Jordan. Er empfand dies als die abstoßendste Form der Fleischzubereitung. Jetzt einmal abgesehen von der japanischen Unart, eine Kunst daraus zu machen,

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