Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
instinktiven Eindruck beruhte. Aber der Instinkt offenbarte sich Lukastik als elementar. Er konnte also gar nicht anders, als sich vorzustellen, daß jene Person, die Barwick war, ihn in einen See von beträchtlicher Tiefe geworfen hatte.
Er tat sich schwer zu beurteilen, wieviel Zeit vergangen war, seitdem er aus der Narkose erwacht war. Erst recht konnte er nicht sagen, wie lange er schon in diesem Wasser wie in einer Flasche Sirup steckte. Er griff hinter sich und fühlte den Körper einer einzigen Flasche. Wie ausgiebig war eine solche Flasche? Er wußte es nicht. Aber es konnten wohl kaum Stunden sein.
Es schien ihm dringend angebracht, etwas zu unternehmen, auch wenn er begonnen hatte, seinen Zustand zu genießen. Wie man etwa ein Völlegefühl genießt. Oder einen hohen Grad an Betrunkenheit, noch bevor einem davon übel wird. Er hatte, so gesehen, kaum Lust, zu handeln, überwand sich jedoch, indem er zunächst einmal versuchte, seinen Bleigürtel zu öffnen. Allerdings erwies sich dies als unmöglich. Lukastik ertastete ein Vorhängeschloß, wie es der Absperrung von Kellertüren dient und welches die Teile des Gurtes untrennbar zusammenhielt. Jemand schien mitgedacht zu haben. Und zwar über das rein Perverse seiner Tat hinaus.
Wie um die Unmöglichkeit auszugleichen, sich von jenem Gurt zu trennen, fingerte Lukastik nun an dem Knoten herum, welcher das Band zusammenhielt, mit Hilfe dessen sein Mundstück am Kopf fixiert worden war. Es kostete ihn einige Mühe und Kraft. Aber es gelang. Freilich war dieses Gelingen ohne Sinn, solange Lukastik sich unter Wasser befand. Außer er wollte ertrinken, aber das wollte er nun mal nicht.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als mit Händen und Füßen zu strampeln, wie kleine Kinder strampeln, oder kleine Hunde, und zu hoffen, daß sich die korrekte Richtung von selbst ergab, falls eine solche rettende Oberfläche überhaupt existierte. Die Bewegung, die er nun vollzog, erschöpfte ihn bald. Er fühlte entgegen jener Schwerelosigkeit, die man angeblich unter Wasser empfand und die das Tauchen zur reinen Freude machen sollte, deutlich das eigene Gewicht. Das Gewicht der Flasche, des Gurts, des Anzugs sowie vor allem das eigene Lebendgewicht, solange von einem solchen noch die Rede sein konnte. Er gab auf. Er gab auch darum auf, da er jetzt meinte, nicht mehr alleine zu sein und sich sein wildes Gestrampel sparen zu können.
Es war zunächst bloß eine Ahnung gewesen, wie man den Umbruch des Wetters ahnt. Dann registrierte Lukastik zweifelsfrei – wobei er immer noch nichts sehen konnte – das Vorbeigleiten eines mächtigen Körpers. Er dachte zunächst an einen metallischen Gegenstand, die Bugwulst eines Schiffes oder den glatten, gewölbten Druckkörper eines U-Bootes. Etwas ungemein Kompaktes jedenfalls. In der Folge aber spürte er zusätzlich zu dieser Festigkeit auch eine Spur von Lebendigkeit, die ihn hier umgab. Eine Kraft, die aus ihrer schiffsartigen Steifheit plötzlich ausbrach und eine schöne runde Kehre zog. Die Bewegung, die Lukastik erkannte, war eindeutig die eines Fisches von bedeutender Größe. Auch konnte Lukastik ein mehrfaches Dahingleiten wahrnehmen, nicht bloß an seinen Flanken, sondern auch unter und über sich. Gar keine Frage, er befand sich inmitten dessen, was er vor kurzem als »Rudel« definiert und sich dabei die Frage gestellt hatte, ob im Falle von Fischen ein solcher Begriff überhaupt legitim sei.
Chefinspektor Richard Lukastik, siebenundvierzigjährig, allein von einer Gasflasche am Leben gehalten, eingepackt in kalten, feuchten Kunststoff und ohne Boden unter den Füßen, war jetzt froh um die Dunkelheit, die ihn mit völliger Blindheit schlug. Er brauchte nicht auch noch zu sehen, was er wußte, daß nämlich mehrere Haifische von der Art Carcharhinus leucas, auch Gemeiner Grundhai, ihn umschwammen. Wäre er dieser Tiere ansichtig geworden, hätte er ihre mächtigen Leiber vorbeiziehen sehen, ihre schneidigen Flossen, die aus dem Rumpf herausstanden wie die Teile eines Taschenmessers, hätte er in die kleinen, scharfen Augen und das von der runden Schnauze beschattete Maul schauen müssen, so wäre er kaum in der Lage gewesen, so vollkommen bewegungslos zu verharren, wie er dies nun tat, gewissermaßen getragen von der Hoffnung, daß diese Fische sich aus einem Neoprenanzug nichts machten, daß sie satt waren, wie solche Tiere nur satt sein konnten, und daß sie nicht zu jenen Exemplaren gehörten, die aus lauter
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