Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Mann sah, etwa wie man einen alten Wasserfleck nebenbei betrachtet, den man seit Jahren ausbessern möchte und es ja doch nicht tun wird.
Lukastik wollte wissen, ob Sternbach noch etwas gesagt habe.
»Nichts von Bedeutung«, meinte Beduzzi, »allerdings fand ich seinen Abschied etwas merkwürdig. Ein bißchen pathetisch, als wollte er mit seiner kleinen Freundin auf den Mond fliegen. Was soll das überhaupt? Er hat nicht einmal in seinen Salon geschaut. Dort geht es drunter und drüber. Alle verlangen nach ihm. Eine Werkstatt ohne Meister ist den Kunden ein Greuel. Doch was tut der gute Sternbach? Setzt sich in seinen Golf und fährt einfach mit diesem schrillen Püppchen davon.«
»Was heißt mit seinem Golf? Ich dachte, er hat einen Renault.«
»Mit Sicherheit nicht. Als Chefin dieser Tankstelle weiß ich wohl, wer hier welche Automarken fährt.«
Lukastik traf eine rasche Entscheidung: »Bringen Sie mich in Sternbachs Zimmer.«
»Wieso das denn?« wunderte sich Beduzzi. »Ich glaube auch gar nicht, daß …«
»Hören Sie auf zu glauben. Tun Sie, was ich sage.«
»Ein netter Ton ist das aber nicht«, stellte Beduzzi fest und schloß – wie jemand, der im eigenen Schlafzimmer überrascht wird – einen Knopf ihrer Bluse.
»Der Ton tut not«, erklärte Lukastik mit einer Geste wachsender Ungeduld.
Frau Beduzzi verließ den Supermarkt über die Kassenzone, ohne aber nochmals auf den Wasserfleck ihres Lebens zu schauen. Sie ging zu Lukastik, griff in eine Brusttasche ihrer Jacke, die unter den ledernen Fransen lag, und zog einen Bund mit Schlüsseln hervor, der an einer kleinen, plüschenen Donald-Duck-Figur hing. Der Enterich hatte die Hände gehoben, wie um sich zu ergeben. Er sah lebendig aus. Aber wenn man nervös und in Eile war – und dies war Lukastik ganz gewiß –, sahen eine Menge Dinge lebendig aus.
Selma Beduzzi schwenkte die Schlüssel in Lukastiks Kinnhöhe und sagte: »Eigentlich müßte ich eine Durchsuchungserlaubnis verlangen.«
»Gehen wir«, ordnete der Polizist an und mißachtete also Beduzzis recht typische Laienphrase, die den Verzug einer Gefahr außer acht ließ. Und ein solcher Verzug war im Grunde immer gegeben. Die Gefahr war das Klima, in dem alles gedieh.
Sternbachs Zimmer lag am Ende des Gangs. Es war doppelt so groß wie jenes Lukastiks, besaß aber die gleiche Wandverkleidung und dieselbe lichtblaue Färbung des Kunststoffbodens. Weiße Möbel standen herum gleich einer Familie aus Schneemännern. In der hintersten Wand wies ein breites Fenster auf das schattige Geflecht eines Tannenwaldes. Vereinzelte Lichtflecken fielen herein, tanzten. Die einzig wirkliche Unordnung ergab sich durch die Mulde im gemachten Bett. Gut möglich, daß der Abdruck von einem Koffer stammte. Auf einem einzelnen Regal, das trägerlos von der Wand abstand, waren Ehrenpokale plaziert, die eine gleichmäßige Reihe bildeten. Sechs Stück. Fünf davon hatte Sternbach für seine Leistungen als Friseur erhalten, ein sechster – der einzig halbwegs geschmackvolle – verwies auf eine ganz andere Leistung. Eigentlich handelte es sich nicht um einen Pokal, sondern um einen gläsernen Teller, dessen eingraviertes Ringmuster sich spiralig verdichtete, wobei die äußeren Ringe eine helle, gelblichgrüne Färbung besaßen, während sich zum Mittelpunkt hin ein Übergang aus verschiedenen Stufen dunklen Blaus ergab. In den Abständen der äußeren Ringe war eine Inschrift angebracht, welche offenbarte, daß der körperlich eher zart anmutende Sternbach zumindest über eine außergewöhnliche Lunge verfügen mußte. Denn gemäß der ehrenden Zeilen auf diesem Teller, hatte Egon Sternbach am 23. Juli des Jahres 1993 an der Küste von Genua einen neuen Tiefenrekord im Tauchen ohne Gerät und mit konstantem Gewicht aufgestellt – einundsiebzig Meter.
»Wir halten Menschen für gut«, sagte Lukastik, »und sie erweisen sich als schlecht. Nur umgekehrt ist das nie der Fall.«
»Wie bitte?« zeigte sich Frau Beduzzi verwundert, während sie mit einer gefühlvollen Handbewegung die Bettdecke glattstrich. Wobei es sie kaum noch wunderte, daß Lukastik wieder einmal keine Antwort gab, sondern sich nach Sternbachs Autokennzeichen erkundigte. Selma Beduzzi antwortete hörbar unwillig, nichtsdestoweniger rasch. Sie verfügte über ein ganz ausgezeichnetes Gedächtnis. Offenkundig im Unterschied zu Lukastik, der an den Schreibtisch getreten war und nun einen Kugelschreiber aus der Innentasche seines Sakkos zog,
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