Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
bestimmte: »Keine Diskussion. Gehen Sie! Auf daß Sie schneller nach Ungarn kommen.« Und an Jordan gewandt: »Lassen Sie sich von Frau Kosáry ihre Theorie über das Wiederkäuen eines Apfels erklären. Interessante Sache.«
»Aber gerne«, meinte Jordan und lächelte wie unter Tränen. Dann fragte er, wohin er Kosáry bringen solle.
Lukastik hatte seine Idee aufgegeben, die Ungarin bei dem Haibiologen Erich Slatin einquartieren zu wollen. Der Umstand, daß in Sternbachs Wiener Wohnung eine Fotographie gefunden worden war, die zumindest der Beschreibung nach an jene Serie von Abbildungen erinnerte, welche Slatin in seinen Räumen ausgestellt hatte, brauchte nichts zu bedeuten, bedeutete wohl auch nichts, war aber dazu angetan, Slatin als Herbergsvater vorsichtshalber auszuschließen.
Lukastik trat einige Schritte zur Seite und winkte gleichzeitig seinen Assistenten zu sich, der ihm langsam folgte.
»Sie leben doch allein, Jordan?« fragte Lukastik, gerade so, als wenn er dies nicht ganz genau gewußt hätte.
»Na und?« antwortete Jordan, wobei er sich merklich wand.
»Es wäre mir lieber«, erklärte Lukastik, »wenn Sie Frau Kosáry bei sich unterbringen könnten. Es geht, denke ich, bloß um diese eine Nacht. Ein Hotel fände ich zu unsicher. Und ich kenne niemanden, dem ich in dieser Sache vertrauen könnte.«
»Dieses Herzchen wirkt ein wenig anstrengend«, stellte Jordan fest.
»Dafür, daß das Herzchen heute morgen vom Tod ihres Geliebten erfahren hat, verhält es sich ziemlich normal.«
»Ist sie verdächtig?« fragte Jordan.
»Sie ist für niemanden eine Gefahr, außer für sich selbst. Darum möchte ich ja auch, daß Sie sich um sie kümmern.«
»Ich bin doch wohl kaum geeignet, das Kindermädchen zu spielen. Ein Mann in meinem Alter. Was ist, wenn sie sich einbildet, ich hätte ihr ein Stück von ihrem kleinen Busen weggeguckt. So etwas soll vorkommen. Ich finde, unsere Frau Boehm wäre geeigneter für diesen Job.«
»Der Major hat aber nun mal Sie geschickt. Außerdem bin ich überzeugt, daß Frauen prinzipiell nicht zusammenpassen. Nein, Sie sind schon der Richtige. Hören Sie auf, das Gras wachsen zu hören. Morgen werden wir Frau Kosáry einer Befragung unterziehen. Und dann ab mit ihr nach Ungarn.«
»Wie Sie meinen«, sagte Jordan, wandte sich ohne ein weiteres Wort von seinem Vorgesetzten ab, wechselte hinüber zu Esther Kosáry und bedeutete ihr, mitzukommen. Die Frau folgte dem Mann gleich einem knöchernen Seepferdchen, das in eine Strömung geraten war.
Für einen Moment schwang die weite Pforte auf und die beiden traten hinaus ins Freie eines zu Ende gehenden Nachmittags. Lukastik sah die zwei im Licht verschwinden, in etwa wie Wäschestücke in einer schaumigen Brühe versinken.
Er hatte es also wieder einmal geschafft: Er hatte eine Ehe gestiftet. Und aus unerfindlichen Gründe meinte er, diesmal würde es endlich eine gute Ehe werden.
Lukastik ging an die Rezeption, wo ihm nun eine andere Angestellte, ausgeruhter und freundlicher als jene von zuvor, unaufgefordert seinen Schlüssel entgegenhielt. Wie es schien, kam niemand anders als er selbst in Frage, ein Chefinspektor Lukastik zu sein.
Das Hotelzimmer lag im zweiten Stock und bot dieselbe behagliche und sedierende, aber auch ein wenig biedere Eleganz des Foyers. Lukastik unterließ es, sich genauer mit der Einrichtung zu beschäftigen, zog sich aus, stellte sich kurz unter die Dusche und legte sich aufs Bett, wobei er ein feuchtes Handtuch über seinen Rumpf ausbreitete. Sein Geschlecht, seine Beine und Arme sowie sein Kopf wuchsen gleich Wurzeln unter diesem Tuch hervor. Es dauerte keine Minute, da war Lukastik eingeschlafen. Weder hatte er einen Wecker gestellt noch einen Weckruf in Auftrag gegeben. Für den Fall, daß Sternbach es eilig hatte, so müßte dieser eben selbst zusehen, Lukastik aus dem Schlaf zu holen.
Was nicht der Fall war. In dieser Stunde nicht, und auch nicht in der nächsten. So lange hielt sich Lukastik in der unregelmäßigen Schwebe jenes ruhenden Vorgangs, der ja der Erholung dienen soll, aus dem der Kriminalist aber mit erneut schmerzenden Gliedern und einem erneut kratzenden Hals erwachte. Dazu gesellte sich jener typische Druck auf das Innenauge sowie jenes nicht minder typische Kribbeln der Haut, die zum Repertoire medikamentöser Nebenwirkungen gehörten. Nichts, was Lukastik wirklich frustrierte. Ohne Nebenwirkungen hätte er Dr. Gindlers Präparat kaum mit einer sinnvollen Anwendung
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