Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
sprang an Olanders Bett und schrie ihn an, wie er das habe tun können, einer wildfremden Person das Kind anzuvertrauen.
»Ich hätte sie kaum hindern können, ich steckte mit den Beinen fest«, verteidigte sich Olander. »Außerdem mußte ich froh sein, daß da jemand war, der Clara helfen konnte.«
»Clara ist kein Baby, sie hätte das auch alleine geschafft.«
»Ja, natürlich.« Olander war voller Demut und Einsicht. Wie oft hatte er seinem Kind erklärt, daß es niemals mit Fremden mitgehen dürfe. Auch nicht mit fremden Frauen, so freundlich sie vielleicht wirken mochten. Und dann hatte er Clara geradezu in die Hände dieser Unbekannten getrieben.
Hatte er das wirklich? Hatte er Clara denn aufgefordert, sich von dieser Frau helfen zu lassen? Es kam ihm so vor. Aber seine Erinnerung war ein verwaschenes Blatt, ein Blatt, in das er nun die eigene Schuld einzeichnete. Beziehungsweise nur jene vagen Konturen nachstrich, die seine Schuld bestätigten. Denn es war erträglicher, sich wenigstens schuldig fühlen zu dürfen, als das Faktum unausweichlicher Fügungen hinzunehmen.
Nachdem Olander ins Krankenhaus eingeliefert worden war, hatte er den Namen seiner geschiedenen Frau gestammelt. Eine entscheidungsfreudige Krankenschwester hatte diesen Namen im Telefonverzeichnis von Olanders unbeschädigtem Handy aufgerufen und damit Frau Perrotti vom Unfall ihres Exmannes informiert.
»Mein Kind, was ist mit meinem Kind?« hatte Yasmina gerufen.
»Was für ein Kind?«
Noch aus der Scala rief Yasmina die Polizei an, wo man ihr versicherte, daß wenn ihre Tochter in diesem Wagen gewesen sei, sie sich mit Sicherheit in der Obhut eines der am Unfallort eingetroffenen Beamten befinde. Aber das sollte sich bald als Irrtum herausstellen. Noch während man den narkotisierten Olander medizinisch versorgte – so ganz harmlos war die Verletzung seines Beines nun doch nicht, dazu kam der Blutverlust–, wurde klar, daß keiner wußte, wo Clara geblieben war. Von den Polizisten und Sanitätern hatte niemand das Kind überhaupt gesehen, auch der Arzt nicht, der den Tod des Taxifahrers festgestellt hatte sowie Olanders relative Unversehrtheit. Dafür aber jener Mann, welcher geistesgegenwärtig genug gewesen war, aus seinem Wagen zu springen und mittels Feuerlöscher den eingeklemmten Olander vor dem Verbrennen zu bewahren. Dieser Mann berichtete von einer jungen Frau, die mit einem kleinen Mädchen im Arm sich rasch von dem brennenden Taxi entfernt hatte. Dabei habe er, sagte der Mann, den Eindruck gehabt…nun, er könne das nicht beschwören, glaube aber, daß die Frau vorne auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, bevor sie dann scheinbar unverletzt aus dem Wagen gestiegen war, um sich und das Kind zu retten.
Seither waren Stunden vergangen. Niemand hatte sich gemeldet, niemand von Clara gehört. Während an der Existenz der unbekannten Frau kein Zweifel mehr bestand. Das war es, was wirklich gewiß war. Und was einem jeden hier angst machte. Sogar Longhi, der bei aller Sachlichkeit ein Magenmensch war. Sein Magen drückte ihn. Und wenn sein Magen das tat, dann bahnte sich etwas höchst Unangenehmes an. Longhis Magen – eine Mimose zwar, aber wie jede Mimose auch ein Seismograph, eine meteorologische Station – sagte schlechtes Wetter voraus. Sosehr draußen der Abendhimmel orangen glühte.
»Dieser Zeuge, der Mann, der das Feuer gelöscht hat«, wiederholte und betonte Longhi das bereits Gesagte, »er hat behauptet, die Frau wäre im Taxi gewesen.«
»Blödsinn!« rief Olander aus. »Sie kam einfach des Weges. Sie war plötzlich da.«
»Es ist zu dumm«, meinte Longhi, »daß der Taxifahrer tot ist. Er könnte Ihre Aussage bestätigen.«
»Was soll das? Wieso muß das jemand bestätigen? Wieso glauben Sie mir nicht?«
»Niemand glaubt dir«, fuhr Yasmina dazwischen.
»Was willst du damit…?«
Longhi stand auf, unterbrach mit der glatten Geste seines gestreckten Zeigefingers die Auseinandersetzung und bat Yasmina, hinauszugehen.
»Warum das?« beschwerte sich Yasmina.
»Weil es besser so ist. Wir wollen doch weiterkommen, nicht wahr? Nur das zählt jetzt.«
Yasmina Perrotti betrachtete Olander, als suche sie nach der schmerzempfindlichsten Stelle an seinem Körper. Dann verließ sie das Zimmer.
»So«, setzte Longhi erneut eine Markierung. Er gehörte zu diesen Männern, die sich ohne die Gegenwart von Frauen gleich sehr viel wohler fühlten. Er sah auf Olander hinunter und fragte: »Gibt es etwas, was Sie mir
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