Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
das rechte zu heben versuchte, ging ein sägender Schmerz hindurch.
Eine Krankenschwester saß neben Olander. Sie schob ihre Hand über sein Knie, ohne es aber zu berühren, allein der Belastung des verletzten Beins Einhalt gebietend. Sie lächelte ihn an, als quäle sie eine Zahnspange. Dann erhob sie sich und ging nach draußen. Gleich darauf kamen drei Personen ins Zimmer. Ein Mann in Weiß, ein Mann in Schwarz und Yasmina. Ihre Augen waren klein und rot. In ihrem Blick, den sie auf Olander richtete, stapelten sich Schichten von Wut und Schmerz, ein Gefühl das andere überbietend. Yasmina wollte etwas sagen, aber der Mann in Schwarz hielt sie zurück. Einen Moment dachte Olander, es handle sich um den Taxifahrer. Auch so ein Spitzmausgesicht. Aber er war ein anderer Mann, eine Spur größer und eine Spur spitzer. Nicht ganz so flink in seinen Bewegungen wie der Taxifahrer. Er war, wie man so sagt, ein Strich in der Landschaft. Aber ein markanter Strich, wie einer zwischen zwei Gedichtsversen, in sich gerade, aber schief ausgerichtet, eine lineare Kurve. Der Mann in Schwarz erwähnte jetzt seinen Namen und erklärte, im Dienste der hiesigen Kriminalpolizei zu stehen. Seinen Titel nannte er nicht. Und das würde auch so bleiben. Signore Longhi würde immer nur Signore Longhi sein, nie zum Commissario Longhi oder Capitano Longhi werden, solcherart – nämlich in den deutschsprachigen Ohren Olanders – sich frei von einer Donnaleonisierung halten.
Longhi bremste also Yasmina und nickte dem Arzt zu, der jetzt auf italienisch eine knappe Erklärung über Olanders Gesundheitszustand gab, den er angesichts der Umstände des Unfalls als hervorragend bezeichnete. Geringe Verbrennungen an den Unterarmen, eine Entzündung der Bindehaut, die von dem lebensrettenden Schaummittel herstammte, eine mittelschwere Gehirnerschütterung, vor allem aber eine Verletzung der rechten Unterschenkelmuskulatur, da ein Metallteil seitlich in die Wade eingedrungen war. Jedoch keine Fraktur. Dazu ein paar andere kleine Blessuren, nichts von Bedeutung. Sehr viel besser könne man aus einem derart zugerichteten Wagen gar nicht herauskommen. Nun, eigentlich schon, denn Clara war ja…
»Was ist mit Clara? Wo ist sie?« preßte Olander hervor.
Longhi gab dem Arzt ein Zeichen. Dieser verschwand augenblicklich aus dem Zimmer.
Longhi bat Yasmina Perrotti sich zu setzen. Sie lehnte ab. Ihr Blick war eine Klinge, über die sie jeden springen ließ. Auch sich selbst. Longhi zuckte mit den Achseln und ließ sich auf Olanders Bettkante nieder. Er sprach Deutsch, gut, aber nicht auffällig gut. Oder hielt sich auch nur zurück, die eigene Perfektion beschränkend. Jedenfalls bat er Olander, zu berichten, wie sich die Sache zugetragen habe.
»Wo ist Clara?« fragte Olander erneut. Panik drang aus seiner Stimme.
»Also gut«, sagte Longhi. »Sie ist verschwunden.«
»Was heißt verschwunden?« Olander ging in die Höhe.
»Das heißt, daß wir nicht wissen, wo sie ist.«
Yasmina konnte sich nicht mehr zurückhalten. Sie beschimpfte Olander. Daß er ein verantwortungsloser Mistkerl sei, ein Hohn von Vater, nachlässig, feige, kurzsichtig…
Das stimmte alles nicht. Und dennoch gab Olander seiner Exfrau recht. Er empfand es jetzt genauso. Er hatte nicht achtgegeben. Auf eine andere Weise als die gewohnte. Er hatte etwas übersehen, eine drohende Gefahr. Er hatte nur das Feuer erkannt, das aus dem Motor geschossen war. Angesichts des Feuers war er blind für alles andere gewesen. Aber konnte man ihm daraus einen Vorwurf machen?
Yasmina schon. Und erst recht er selbst.
Longhi aber nicht, natürlich nicht. Er war hier der Polizist, der sich Vernunft erlauben durfte. Und er war auch vernünftig genug, abzuwarten, bis Yasmina sich in ihren Attacken erschöpft hatte, bis sie ihren Kopf senkte, sich auf einen Stuhl setzte und in ein leises Schluchzen verfiel.
»So«, sagte Longhi, als beende er das Tischgebet von jemand anders. Es hörte sich ein wenig hart an. Aber Gefühle waren nun mal nicht Longhis Spezialität. Zumindest nicht die Gefühle der Opfer. Erneut bat er Olander darum, einen genauen Bericht der Ereignisse zu liefern und dabei kein Detail auszulassen.
Olander begann von dem Taxilenker zu erzählen.
»Er ist tot«, sagte Longhi. »Aber reden Sie weiter.«
Olander redete weiter.
Als er von der Frau berichtete, die die Wagentüre geöffnet und Clara aus dem Taxi gehoben hatte, brach Yasmina erneut aus ihrer leisen Verzweiflung aus,
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