Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
steht.«
Lukastik schüttelte innerlich den Kopf. Dieser Olander war ihm ein Rätsel.
(Früher einmal hatte sich Lukastik an die Maxime gehalten: Rätsel gibt es nicht. Davon war er jedoch abgekommen. Rätsel existierten. Freilich als ein Teil der Natur. In der Art von Bindegliedern zwischen zwei Entwicklungsstufen. Bindeglieder sind immer ein wenig komisch, wie nachträglich hinzugefügt, damit keine Lücken bleiben. Echsen, die Vögel sind. Affen, die Menschen sind. Bindeglieder erklären sich nicht. So wenig wie Rätsel das tun, stimmigerweise. Will man also weiterkommen, muß man die Rätsel überspringen.)
Für Lukastik lag die primäre Aufgabe noch immer darin, den Tod von Andrea Pero aufzuklären und nicht alles und jeden zu enträtseln.
Nach einer Pause, in der jeder stumm in sein Glas geschaut hatte, hob Marlies Herstal den Kopf und fragte: »Wollen Sie mitkommen? Beide!« Dabei führte sie ihren Blick von Olander zu Lukastik und wieder zurück.
»Wie meinen Sie das?« Lukastik kniff die Augen zusammen wie unter dem Einfall von zuviel italienischem Licht.
»Ein letzter Tauchgang steht an«, erklärte die Zoologin. »Das Boot hat Platz für vier Leute. Ich bin diesmal allein mit dem Piloten. Sie beide könnten mich also begleiten. Oder auch nur einer von ihnen.«
Lukastik nickte. Ja, er würde sich gerne die Stelle ansehen, an der das Skelett gefunden wurde.
»Und Sie, Vinzent?« fragte Marlies.
Über Olanders Gesicht zog sich eine diagonale Spur. Eine Peitschenhiebspur. Er erklärte, enge Räume nicht zu mögen.
»Sie wissen doch, ich mag auch keine engen Räume«, erinnerte Marlies. »Aber ich denke, zu zweit hält man das viel eher aus.«
»Zu zweit wird es noch enger«, bemerkte Olander.
»Kommen Sie jetzt mit oder nicht?« Marlies hatte ihre Stimme ein wenig angehoben. Sie wußte ganz gut, wann es an der Zeit war, die Geduld zu verlieren.
Auf diese Weise in die Schranken gewiesen, sagte Olander: »Natürlich komme ich mit.«
»Schön«, antwortete Herstal.
»Das wird sich noch zeigen.« Lukastik begann gerade, seine Entscheidung zu bereuen. Auch er war kein Freund der Enge.
Im Hintergrund stand Job Grong, der alles mitangehört hatte. Niemand machte sich die Mühe, etwas vor ihm verheimlichen zu wollen. Er war der Wirt hier. Somit ein Wesen höherer Art. Was aber nichts daran änderte, daß er sich auf die kleine Pfütze am Boden, die er soeben entdeckt hatte, auch keinen Reim machen konnte.
»Was soll das jetzt wieder?« fragte Lukastiks Vorgesetzter via Handy. »Ich dachte, dieser Olander ist der Hauptverdächtige. Und jetzt gehen Sie mit ihm schwimmen?«
»Ich gehe mit ihm tauchen.«
»Bringen Sie mich nicht auf die Palme, Lukastik.«
Lukastik blieb völlig gelassen. Er erklärte: »Wenn er der Täter ist, dann befördere ich ihn praktisch an den Tatort zurück. Eine Art Lokalaugenschein. Und wenn nicht – woran ich immer mehr glaube –, dann hat es eben keine Bedeutung, ob er dabei ist oder nicht.«
»Ich dachte, man hat auf den Mann geschossen.«
»Vielleicht hat man auf mich geschossen. Das ist nicht so sicher«, sagte Lukastik, der am Ufer des Mariensees stand, ein wenig abseits der Stelle, wo man letzte Vorbereitungen für den Tauchgang traf.
»Hören Sie mir zu, Kollege Lukastik, wenn da etwas schiefgeht…und ich spüre, daß da was schiefgeht, dann will ich nichts davon gewußt haben, was für Sachen Sie dort draußen treiben. Verstehen wir uns?«
»Ich kann mich schon jetzt nicht mehr erinnern, je mit Ihnen gesprochen zu haben«, sagte Lukastik und drückte die rote Taste seines Handys. Ein Impuls trieb ihn dazu, das lächerliche kleine Telefon ganz einfach in den See zu werfen. – Und siehe da, der Impuls triumphierte. Lukastik schleuderte das Gerät in einem hohen Bogen ins Wasser. Es klatschte auf und versank. Lukastik war seit jeher ein Telefonhasser gewesen. Und endlich hatte er getan, was er schon immer hatte tun wollen. Das würde zwar die Welt nicht retten, natürlich nicht, aber für einen kleinen Moment war die Welt besser als vorher. Und das ist schließlich auch etwas wert.
Befreit von der teuflischen Last, die solche Geräte über die Menschheit gebracht haben, bewegte sich Lukastik hinüber zu der Gruppe aus Presseleuten, Technikern und Polizisten, die das zitronengelbe Tauchboot umgaben, während hinter einer ebenfalls gelbfarbenen Absperrung sich die Schaulustigen versammelt hatten. Es war windig und kühl, der Nebel aber hielt Distanz. Es war
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