Richter 07
und als ich mich weigerte, holte er eine der langen Bambusflöten von der Wand. Er begann, mich damit zu schlagen. Herbstmonds Streiche waren nicht allzu schlimm, es war mehr die Demütigung. Sie tat mehr weh als die Prügel selbst. Aber dieser schmutzige Wen wollte mir wirkliche Schmerzen antun. Er hielt erst inne, als ich um Gnade bettelte und ihm versprach, alles zu tun, was er begehrte. Er sagte, er würde später zurückkommen, daher wollte ich auch nicht in jenem Haus bleiben. Bitte sprecht mit niemandem darüber. Wen kann mich vollständig zugrunde richten, das wißt Ihr ja!«
»Dieser gemeine Schurke!« fauchte Ma Jung. »Fürchtet Euch nicht, den krieg’ ich schon, ohne Euch zu verraten! Der alte Gauner ist in eine böse Sache verwickelt, und schon vor dreißig Jahren hat er damit begonnen! Seit langem steht er in Verruf! Schon morgen kommt er dran!«
Die Wirtin hatte keine Teeschalen gebracht, so daß er dem Mädchen den Schnabel der Teekanne an den Mund hielt. Sie dankte ihm und sagte dann nachdenklich:
»Ich möchte Euch gern dabei helfen, denn er hat auch andere Mädchen mißhandelt.«
»Allerdings könnt Ihr nicht wissen, was vor dreißig Jahren hier geschah, meine Liebe!«
»Das ist wahr, ich bin ja auch erst neunzehn. Aber ich kenne jemanden, der eine Menge aus vergangenen Zeiten weiß. Eine bedauernswerte alte Frau ist’s; sie heißt Fräulein Ling. Bei ihr nehme ich Gesangstunden. Sie ist blind und lungenkrank, doch hat sie ein sehr gutes Gedächtnis. Da drüben auf der Westseite der Insel lebt sie in einer elenden Hütte. Gerade gegenüber dem Landungssteg, und …«
»Vielleicht in der Nähe des Kürbisgartens, der der Krabbe gehört?«
»Freilich! Aber wie könnt Ihr das wissen?«
»Wir vom Gericht wissen mehr, als man denkt!« antwortete Ma Jung großspurig.
»Die Krabbe und der Krebs sind gutmütige Kerle; einmal halfen sie mir, diesem greulichen Händler Wen zu entgehen. Und der Krebs ist ein prachtvoller Kämpfer.«
»Die Krabbe, meint Ihr wohl.«
»Nein, der Krebs. Man sagt, keine sechs starken Männer würden es wagen, den Krebs anzugreifen.«
Ma Jung zuckte die Achseln. Zwecklos, mit einer Frau über Kämpfen zu streiten. Sie fuhr fort:
»Tatsächlich war es der Krebs, der mich mit Fräulein Ling bekannt machte. Dann und wann bringt er ihr Medizin gegen ihren Husten. Das Gesicht der Bedauernswerten ist durch Pockennarben schrecklich entstellt, doch hat sie eine ganz herrliche Stimme. Vor dreißig Jahren war sie anscheinend eine beliebte Kurtisane am Ort; sie gehörte dem ersten Rang an und war hochgeschätzt. Ist’s nicht traurig, daß aus einer großen Kurtisane ein so häßliches altes Weib wurde? Unwillkürlich denkt man daran, daß es einem ebenso ergehen könnte …«
Ihre Stimme wurde schleppend. Um sie aufzumuntern, fing Ma Jung von ihrem Heimatdorf zu reden an. Dabei kam heraus, daß er ihren Vater einmal an seinem Stand auf dem Markt getroffen hatte. Sie erzählte, daß er später in Schulden geriet und daher seine beiden Töchter an einen Kuppler verkaufen mußte.
Die Witwe Wang erschien mit frischem Tee und setzte ihnen eine Schüssel mit Melonenkernen und Süßigkeiten vor. Angeregt unterhielten sie sich über ihre gemeinsamen Bekannten. Als die Witwe immer tiefer in eine lange Geschichte über ihren Gatten hineingeriet, bemerkte Ma Jung plötzlich, daß Silberfee eingeschlafen war.
»Jetzt machen wir besser Schluß, verehrte Tante!« sagte er zur Witwe. »Um das Frühstück braucht Ihr Euch nicht zu kümmern, ich kaufe mir ein paar Ölkuchen beim Straßenhändler. Sagt dem Mädchen, daß ich um die Mittagsstunde wieder vorbeikomme.«
Nachdem die Witwe nach unten gegangen war, lockerte Ma Jung seinen Leibriemen, zog die Stiefel aus und streckte sich auf dem Boden vor dem Bett aus, den Kopf auf den verschränkten Armen. Er war es gewohnt, in den seltsamsten Lagen zu schlafen. Bald schnarchte er laut und vernehmlich.
Siebentes Kapitel
Im Roten Pavillon hatte Richter Di große Mühe, auf dem Boden Schlaf zu finden. Der rote Teppich war nur ein armseliger Ersatz für die dicke, federnde Bettmatte aus weichem Schilf, an die er gewöhnt war. Es dauerte lange, ehe er unter solchen Bedingungen eindösen konnte.
Doch ein guter Schlaf wollte sich nicht einstellen. Seltsame Erscheinungen huschten durch seine Traumwelt; sie waren der Widerschein der unruhigen Gefühle, die sich mit dem Roten Zimmer verbanden und die seine Gedanken beschäftigten, kurz bevor er sich
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