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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gulik
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drehte sich zu dem ihm folgenden Kellner um und legte den Finger auf den Mund; gleich darauf untersuchte er schnell das Gebüsch. Als erfahrener Waldbewohner machte er das fast geräuschlos. Als er festgestellt hatte, daß sich niemand hier verborgen hielt, setzte er seinen Weg fort, bis er zu einer breiten Straße kam.
    »Das ist der Hauptweg durch den Park«, erklärte der junge Mann. »Wenn wir uns rechts halten, kommen wir wieder auf die Straße, doch an der anderen Seite unsrer Herberge.«
    Ma Jung nickte. Mit Schrecken dachte er daran, daß irgend jemand sich unbemerkt dem Roten Pavillon nähern und dort einsteigen konnte. Einen Augenblick lang gedachte er hier zu bleiben und unter einem Baum zu schlafen. Aber dann überlegte er, daß Richter Di sicher seinen eigenen Aktionsplan für die Nacht habe, denn er hatte ihm ja befohlen, sich ein Nachtquartier anderswo zu suchen. Gut also, für alle Fälle hatte er wenigstens sichergestellt, daß kein Bösewicht auf der Lauer lag, um die Ruhe seines Herrn zu stören.
    Als sie an der Eingangspforte zur Herberge wieder angelangt waren, ließ sich Ma Jung vom Kellner erklären, wie er den Blauen Turm finden könne. Es ergab sich, daß er im Südteil gelegen war, irgendwo hinter dem Restaurant »Kranichlaube«. Ma Jung schob seine Kappe nach hinten und schlenderte die Straße entlang.
    Obgleich es schon nach Mitternacht war, strahlten die Spielsäle und die Restaurants noch in hellem Lichterschein, und die lärmende Menge in den Straßen hatte sich kaum verringert. Er ging an der »Kranichlaube« vorbei und bog dann links ein.
    Hier befand er sich mit einemmal in einer sehr stillen Nebenstraße. Die sie säumenden zweistöckigen Häuser lagen im Dunkeln, kein Mensch war hier unterwegs. Aufmerksam betrachtete er die Türschilder, die nur ein Rangabzeichen und eine Nummer trugen, woraus er erkannte, daß er vor den Schlafhäusern der Kurtisanen und öffentlichen Dirnen stand, die nach ihrem verschiedenen Rang eingeteilt waren. Diese Häuser blieben Außenstehenden verschlossen; hier war es, wo die Mädchen aßen und schliefen und in Gesang und Tanz unterrichtet wurden.
    »Der Blaue Turm muß ganz in der Nähe sein«, murmelte er. »Möglichst nahe bei der Versorgungsquelle!«
    Plötzlich hielt er seine Schritte an. Hinter einem mit Läden verschlossenen Fenster zu seiner Linken kam ein Stöhnen hervor. Er preßte sein Ohr ans Holz. Einen Augenblick trat Stille ein, dann begann es von neuem. Da mußte jemand in Not sein, vielleicht einsam und verlassen, denn die Hausbewohner würden kaum vor Tagesanbruch heimkehren. Mit raschem Blick überflog er die Inschrift an der Außentür; sie lautete »Rang 2, Nummer 4«. Die Tür war abgeschlossen und aus festem Holz. Ma Jung schaute hinauf zum schmalen Balkon, der die ganze Vorderseite entlanglief. Er steckte die Zipfel seines Gewandes unter seinen Gürtel, schwang sich empor und fand Halt am äußersten Rand des Balkons. Nun zog er sich mühelos hoch und kletterte über das Geländer. Die erste Lattentür, die er vor sich sah, stieß er mit dem Fuße auf und kam in einen Raum, wo es nach Puder und Schminke roch. Er fand Kerze und Zunder auf dem Frisiertisch, machte Licht und stieg eiligst die schmale Treppe hinunter, die in eine dunkle Halle führte.
    Unter der Tür zu seiner Linken drang ein Lichtstrahl hervor, und nun hörte er, daß das Stöhnen aus diesem Raum kam. Er stellte den Leuchter auf den Boden und ging hinein. Es war ein großer, kahler Raum, nur von einer Öllampe erleuchtet. Sechs starke Pfosten trugen die niedrige Sparrendecke; der Boden war mit Schilfmatten bedeckt. An der Wand gegenüber hingen in einer Reihe Gitarren, Bambusflöten, Geigen und andere Musikinstrumente. Augenscheinlich befand er sich im Übungssaal der Kurtisanen. Das Stöhnen kam vom entferntesten Pfosten beim Fenster. Im Nu war er dort.
    Halb hängend, halb stehend, das Gesicht dem Pfosten zugekehrt, war da ein nacktes Mädchen, das seine Arme über dem Kopf ausgestreckt hielt. Mit einer seidenen Frauenschärpe hatte man es am Pfosten festgebunden. Sein schöngeformter Rücken und seine Hüften waren mit Striemen bedeckt. Ein paar weite Hosen und eine lange Hosenschnur lagen zu seinen Füßen. Als das Mädchen ihn hörte, schrie es auf, ohne den Kopf zu wenden:
    »Nicht! Bitte nicht! …«
    »Still!« gebot Ma Jung rauh. »Ich bin gekommen, Euch zu helfen.«
    Er zog das Messer aus seinem Gürtel und zerschnitt rasch den Schal. Vergeblich suchte

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