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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gulik
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das Mädchen am Pfosten Halt zu gewinnen, dann sank es bewußtlos zu Boden. Ma Jung verfluchte seine Ungeschicklichkeit und hockte sich neben die mit geschlossenen Augen daliegende Frau.
    Er maß ihre Gestalt mit bewundernden Blicken. »Bezaubernde Frau! Möchte nur wissen, wer sie mißhandelte. Und was geschah mit ihren Kleidern?«
    Er sah sich im Kreise um und bemerkte ein Häufchen Frauenkleider unter dem Fenster. Daraus zog er ein weißes Unterkleid hervor, mit dem er sie bedeckte. Dann hockte er sich wieder neben sie nieder und fing an, ihre blau angelaufenen Handgelenke zu reiben. Nach einiger Zeit zitterten ihre Augenlider. Sie öffnete den Mund zu einem Schrei, doch schnell beruhigte er sie mit den Worten:
    »Schon gut. Ich bin ein Gehilfe des Gerichts. Wer seid Ihr?«
    Sie versuchte, sich zum Sitzen aufzurichten, doch sank sie mit einem Schmerzensschrei wieder hin. Mit bebender Stimme sagte sie:
    »Ich bin eine Kurtisane zweiten Ranges. Ich wohne oben.«
    »Wer hat Euch geschlagen?«
    »Ach, es ist weiter nichts!« antwortete sie hastig. »Wirklich, es war nur meine eigene Schuld. Eine ganz persönliche Angelegenheit.«

    Halb stehend, halb hängend, war da ein nacktes Mädchen vor Ma Jung
    »Das wollen wir erst mal sehen. Sprecht und antwortet auf meine Frage!«
    Verängstigt blickte sie ihn an.
    »Es ist nichts, wirklich«, wiederholte sie leise. »Heute abend wartete ich bei einem Festmahl auf, zusammen mit Herbstmond, unserer Blumenkönigin. Ich war ungeschickt und verschüttete Wein über das Gewand eines Gastes. Die Blumenkönigin schalt mich aus und schickte mich in unser Toilettenzimmer. Später erschien sie dort selbst und führte mich hierher. Sie fing an, mich ins Gesicht zu schlagen, und als ich ihre Schläge abwehrte, bekam sie unbeabsichtigt einige Kratzer an den Armen ab. Da sie sehr jähzornig ist, geriet sie darüber in Wut und befahl mir, meine Kleider abzulegen. Sie band mich an diesem Pfosten fest und prügelte mich mit meiner Hosenschnur. Sie sagte, sie würde später wiederkommen und mich losbinden, wenn ich genug über meine Fehler nachgedacht hätte.« Ihre Lippen fingen an zu zittern. Sie schluckte ein paarmal, ehe sie fortfahren konnte: »Aber … aber sie kam nicht. Zuletzt konnte ich mich kaum noch auf den Beinen halten, und meine Arme starben ab. Ich dachte, sie hätte mich ganz vergessen. Und ich fürchtete, daß …«
    Die Tränen rannen ihr über die Wangen. In ihrer Aufregung war sie in ihre schwerfällige heimatliche Aussprache gefallen. Ma Jung trocknete ihr die Tränen mit dem Zipfel seines Ärmels ab und sagte nun selbst in seinem eigenen breiten Dorfdialekt:
    »Eure Sorgen, Silberfee, sind vorbei! Ein Mann aus Eurem Dorf wird sich von jetzt ab um Euch kümmern!« Ohne ihrem Erstaunen Beachtung zu schenken, fuhr er fort: »Ein glücklicher Zufall führte mich an diesem Hause vorbei, so daß ich Euer Stöhnen hörte, denn Herbstmond wird nicht wiederkommen. Weder jetzt noch jemals!«
    Sie richtete sich mit den Händen zu einer sitzenden Stellung auf und bemerkte nicht, daß ihre spärliche Bekleidung von ihrem nackten Oberkörper herabrutschte. Mit erstickter Stimme fragte sie:
    »Was ist ihr zugestoßen?«
    »Sie ist tot«, antwortete Ma Jung schlicht.
    Das Mädchen vergrub ihr Gesicht in den Händen und fing wieder zu schluchzen an. Betroffen schüttelte Ma Jung den Kopf. Traurig gestand er sich ein, daß man sich bei Frauen nie auskannte.
    Silberfee hob den Kopf und sagte in tiefer Verzweiflung:
    »Unsere Blumenkönigin ist tot! Sie war so schön und so talentiert … Manchmal schlug sie uns zwar, aber oft war sie wieder so gütig und so verständnisvoll. Sie war nicht sehr kräftig; ist sie plötzlich krank geworden?«
    »Der Himmel weiß das allein! Sprechen wir doch jetzt mal ein bißchen von mir, wollen wir? Ich bin der älteste Sohn von Bootsmann Ma Liang aus dem nördlichen Teil unseres Dorfes.«
    »Was Ihr nicht sagt! Ihr seid also ein Sohn von Bootsmann Ma! Ich bin die zweite Tochter von Wu aus dem Fleischerladen. Ich erinnere mich, daß er Euren Vater erwähnte; er sagte, er wäre der beste Bootsmann auf dem Fluß. Wie kommt Ihr denn hierher?«
    »Ich kam heute nachmittag an, zusammen mit meinem Herrn, Richter Di. Er ist Amtmann des Nachbarkreises Pu-yang und führt die Amtsgeschäfte vorübergehend hier.«
    »Oh, ich kenne ihn. Er war beim Festmahl, von dem ich Euch vorhin sprach. Er scheint ein freundlicher, ruhiger Mann zu sein.«
    »Freundlich ist er«,

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