Richter 07
der ihn nicht flußaufwärts mitnehmen wollte. Ich muß schon sagen, der miserable Bettler fluchte wie ein Mandarin; es war ein Genuß, ihm zuzuhören! Zuletzt zeigte er dem Schiffsmann einen Silberbatzen, doch der antwortete, er wolle lieber arm, aber gesund bleiben. Beleidigt schlug sich der Leprakranke in die Büsche.«
»Ein Trost wenigstens, daß der unglückselige arme Teufel nicht in Geldnot ist«, stellte der Richter fest. »Gestern abend nahm er die Kupferlinge nicht an, die ich ihm geben wollte.«
Ma Jung rieb sich sein starkes Kinn und fuhr dann fort:
»Um auf gestern abend zurückzukommen, Euer Gnaden, so berichte ich, daß ich durch Zufall auf eine Kurtisane namens Silberfee stieß, die mir sagte, sie hätte Euch in der ›Kranichlaube‹ angetroffen.« Als Richter Di zustimmend nickte, erzählte ihm Ma Jung, wie er sie im Übungssaal entdeckte und dabei herausfand, daß das Mädchen erst von Herbstmond und darauf von Wen Yüan mißhandelt worden sei.
»Herbstmond hatte dem üblen Kuriositätenhändler zugetuschelt, daß das Mädchen ihm hilflos ausgeliefert sei!« rief Richter Di zornig dazwischen. »Ich sah sie mit ihm flüstern, als sie zu unsrer Gesellschaft zurückkehrte. Das Weib wies gefährliche, grausame Charakterzüge auf.« Er drehte an seinem Schnurrbart und setzte dann hinzu: »Auf jeden Fall ist das Rätsel um die Kratzer an den Armen der Blumenkönigin jetzt aufgeklärt. Hast du dafür gesorgt, daß das Mädchen für den Rest der Nacht an einem sicheren Ort untergebracht wurde?«
»Das kann ich wohl sagen, Herr. Ich brachte sie zu einer Witwe, einer alten Freundin von ihr.« Um der Frage des Richters, wo er selbst die Nacht verbracht habe, auszuweichen, fuhr er schnell in seiner Erzählung fort: »Silberfee nimmt Gesangstunden bei einem Fräulein Ling, einer früheren Kurtisane, mit der sie die Krabbe bekannt gemacht hatte. Fräulein Ling ist jetzt eine alte kranke Frau, aber dreißig Jahre früher war sie eine berühmte Schönheit. Falls Euer Gnaden den Selbstmord von Tau Pan-tes Vater näher untersuchen möchte, könnte Fräulein Ling bestimmt genauere Einzelheiten liefern.«
»Du hast sehr gut gearbeitet, Ma Jung. Was den alten Selbstmord anbetrifft, so liegt das Ereignis weit zurück, aber es geschah ja hier an diesem Ort, im Roten Pavillon. Auch die kleinsten Angaben über diese anrüchige Stätte sind mir willkommen. Weißt du, wo ich Fräulein Ling finden kann?«
»Sie wohnt irgendwo in der Nähe der Krabbe. Ich kann ihn ja fragen.«
Richter Di nickte. Er befahl Ma Jung, ihm die grüne Amtsrobe zurechtzulegen und den Wirt anzuweisen, daß er ihm eine Sänfte bereitstelle, die ihn zu Fengs Landhaus bringen solle.
Ma Jung ging zur Vorhalle, ein Liedchen trällernd. Silberfee war noch nicht erwacht, als er sie verlassen hatte, aber auch im Schlaf hatte sie bemerkenswert reizvoll ausgesehen, fand er. Er hoffte, sie mittags wiederzutreffen. »Komisch, wie sehr ich mich in die Puppe vernarrt habe«, murmelte er vor sich hin. »Und das einzige, was ich mit ihr tat, war reden, reden …! Vielleicht kam’s so, weil sie aus meinem Heimatdorf ist!«
Achtes Kapitel
Vor dem prächtigen Tempel an der Nordseite der Hauptstraße verließen Richter Di und Ma Jung ihre Sänfte. Am Tage ihrer Ankunft auf der Insel waren dem Richter schon im Vorübergehen die hohen roten Säulen aufgefallen, die das glänzende Marmorportal flankierten.
»Welcher Gottheit ist dieser Tempel geweiht?« fragte er den Vormann der Sänftenträger.
»Dem Gott des Reichtums, Exzellenz! Jeder Besucher unsrer Insel betet hier und brennt Weihrauch ab, ehe er sein Glück am Spieltisch versucht.«
Feng Dais Residenz lag gerade gegenüber. Sie war ein von einer hohen, frisch getünchten Mauer umgebenes Grundstück. Feng eilte dem Richter im Vorderhof entgegen, der mit weißen Marmorplatten ausgelegt war. Auf der anderen Seite des Hofs erhob sich ein großes zweistöckiges Gebäude mit einem monumentalen Pförtnerhaus davor, das reiche Verzierungen aus geschnitztem Holz aufwies und mit Kupferplatten gedeckt war, die in der Morgensonne gleißten.
Während Feng den Richter in seine Bibliothek zur Einnahme einer Erfrischung geleitete, führte sein Leibdiener Ma Jung in das Amtszimmer des Vorstehers im Ostflügel, wo der Gehilfe nachprüfen sollte, ob zur Abhaltung einer Gerichtssitzung nichts fehle.
Feng brachte Richter Di in einen großen, prächtig ausgestatteten Raum und bat ihn, sich an einem antiken Teetisch aus
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