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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gulik
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Volk zu zeigen, daß die Regierung die ihm abgenommenen Steuergelder nicht in unnötigem Luxus verschwendete. Auf der Paradiesinsel schien es offenbar anders zu sein. Hier glaubte man seinen ungeheuren Reichtum selbst in den Amtsräumen der Regierung zur Schau stellen zu müssen.
    Feng Dai und Ma Jung verharrten in stehender Haltung, jeder an einem Ende des Richtertisches. Der protokollführende Schreiber hatte seinen Platz an einem etwas niedrigeren Tisch an der Seitenwand eingenommen, wogegen die dem Richter unbekannten zwei Männer sich rechts und links vor dem Richtertisch aufstellten. Die langen Bambusstangen, die sie hielten, machten deutlich, daß die beiden der Truppe von Geheimpolizisten des Vorstehers angehörten.
    Der Richter sah die Papiere durch, die man ihm hingelegt hatte. Dann schlug er mit dem Hammer auf den Tisch und sprach:
    »Ich, Assessor des Gerichts von Tschin-hwa, erkläre die Verhandlung für eröffnet. Vor mir habe ich den Entwurf einer Todesurkunde, angefertigt von Seiner Exzellenz Amtmann Lo, besagend, daß der fragliche Akademiker sich am Fünfundzwanzigsten das Leben nahm, dies aus Verzweiflung über unerwiderte Liebe zur Kurtisane Herbstmond, der diesjährigen Blumenkönigin auf der Paradiesinsel. Aus dem angefügten Leichenbeschaubericht ersehe ich, daß der Akademiker Selbstmord verübte, indem er sich mit seinem eignen Dolchmesser die rechte Halsschlagader durchschnitt. Dünne Kratzer wurden im Gesicht und auf den Unterarmen des Verstorbenen festgestellt. Der Verstorbene wies keine körperlichen Schäden auf, doch wurden an jeder Seite des Halses Schwellungen entdeckt, die unbekannten Ursprungs sind.« Der Richter blickte auf und sprach: »Der Leichenbeschauer soll vortreten. Ich wünsche einen ausführlichen Bericht über diese Schwellungen.«
    Ein ältlicher Mann mit einem Spitzbart trat an den Richtertisch. Er kniete nieder und begann:
    »Diese Person meldet ehrfurchtsvoll, daß sie Eigentümerin der Apotheke auf dieser Insel ist und im Nebenberuf Leichenbeschauer für dieses Gericht. Was die am Körper des Akademikers festgestellten Schwellungen anbetrifft, so möchte ich dazu sagen, daß sie sich an jeder Seite des Halses unter den Ohren vorfanden. Sie hatten die Form eines großen Marmelsteins. Da die Haut nicht verfärbt war und es auch weder Löcher noch Einstiche gab, muß die Anschwellung einer innerlichen Ursache zugeschrieben werden.«
    »Ich verstehe«, sagte der Richter. »Sobald ich noch einige Einzelheiten nachgeprüft habe, werde ich diesen Selbstmordfall ordnungsgemäß registrieren lassen.« Er schlug mit seinem Hammer auf den Tisch. »Zweitens: dieses Gericht hat sich mit dem Ableben der Kurtisane Herbstmond zu befassen, das gestern nacht im Roten Pavillon erfolgte. Ich will jetzt den Befund des Leichenbeschauers hören.«
    »Diese Person«, nahm der Leichenbeschauer wieder das Wort, »unterzog die Leiche des Fräuleins Yuan Feng, genannt Herbstmond, einer Besichtigung. Sie stellte fest, daß der Tod auf Herzschlag zurückzuführen war, augenscheinlich verursacht durch übermäßigen Alkoholgenuß.«
    Der Richter zog die Augenbrauen hoch. Er sagte kurz und bündig: »Ich verlange eine nähere Begründung zu dieser Feststellung.«
    »Während der letzten beiden Monate, Euer Gnaden, konsultierte mich die Verstorbene zweimal wegen Schwindels und Herzklopfens. Ich fand, daß sie an allgemeiner Erschöpfung litt, und verschrieb ihr ein Beruhigungsmittel; auch riet ich ihr, der Ruhe zu pflegen und sich aller berauschenden Getränke zu enthalten. Dasselbe meldete ich der Verwaltungsstelle der Bordellgilde. Man unterrichtete mich indessen, daß die Verstorbene wohl meine Arzneien einnahm, dagegen ihre Lebensweise nicht änderte.«
    »Ich bedrängte sie, die Anweisungen des Doktors genauestens zu befolgen«, warf Feng eilig ein. »Stets bestehen wir darauf, daß die Prostituierten von Beruf den ärztlichen Anordnungen Folge leisten, sowohl in ihrem als auch in unserem Interesse. Doch sie wollte nicht hören, und seitdem sie Blumenkönigin war …«
    Richter Di nickte. »Fahrt fort!« befahl er dem Leichenbeschauer.
    »Abgesehen von den blauen Flecken an ihrem Hals und einigen Kratzern an ihren Armen zeigte der Körper der Verstorbenen keine Zeichen von Gewalt. Da diese Person davon in Kenntnis gesetzt wurde, daß sie letzten Abend unmäßig viel getrunken hatte, kam sie zu dem Schluß, daß die Frau, nachdem sie sich schlafen gelegt hatte, plötzlich in Atemnot geriet. Sie

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