Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
definitiv trennen. Das schadet dem Renommee der Schule! Bönle, Sie glauben gar nicht, wie oft ich von honorigen Bürgern angesprochen werde: Unterrichtet der bei Ihnen? Ist der Kollege an Ihrer Schule? Was ist denn das für einer? Aus welchem Zirkus haben Sie den aufgegabelt? Unterrichtet der mit Revolver? Bönle, denken Sie auch ein bisschen an mich! Ich muss mir die Beschwerden anhören, das ist auch demütigend für mich und für unsere gesamte Schule. Aber damit wir nicht so dissonant auseinander gehen: Ich habe immer noch Hoffnung mit Ihnen. Sie sind ja nicht dumm, so wie die Kollegen aus der Abteilung … na da möchte ich jetzt keine Namen nennen, Sie wissen das selbst … aah, Sie sind ja ein kluger Mensch. Sie sprechen Lateinisch und Griechisch, vermutlich sogar Englisch. Mensch, Bönle! Geben Sie sich einen Ruck, das wird schon. Sehen Sie doch die tolle Idee mit dem heutigen Unterricht. Machen Sie einfach weiter so. Die Stiefel, ich verstehe Sie ja, so was wirft man nicht einfach so in den Müll, die waren ja bestimmt nicht billig. Aber die kann man ja spenden, ich habe mich erkundigt. Nächste Woche sammelt das Rote Kreuz Schuhe, da bekommen Sie die Tüte direkt in den Briefkasten. Und das ist ja auch noch ein gutes Werk, da können Sie dann stolz sein, wenn in Afrika ein Bedürftiger mit Ihren Stiefeln herumläuft.«
Ich wollte nicht stolz sein. Ich wollte auch nicht, dass in Afrika jemand mit kurzen Hosen in meinen Stiefeln herumläuft.
Um zu demonstrieren, dass die Unterredung nun beendet war, stellte sich mein Rektor breitbeinig, kolossvonrhodosgleich ans Fenster und bestaunte den schönen Parkplatz der Schule, der in einem blendenden Hauch von zartem Nebel lag.
»Auf Wiedersehen, Bönle. Wir schaffen das, gemeinsam!«
»Auf Wiedersehen, Herr Oberstudiendirektor. Und ich denke daran.«
»Aaaah, woran?«
»An die Fenster.«
»Oh ja, prima Bönle, die Energie, die wertvolle Energie. Sie sehen, wie schnell ein kollegiales Gespräch Früchte der Vernunft trägt. Sie müssen sie nur noch ernten, Bönle.«
Sachte schloss ich die Tür hinter mir und meinem gerührten Vorgesetzten. Die Sekretärinnen nickten mir wohlgefällig zu, weil es heute so ruhig zugegangen war. Die Stimmung war lau und mild. Das sanfte Klacken der sekretärischen Tastaturanschläge zauberte eine traute Melodei in den 4711-geschwängerten Raum. Ich nahm mir ein gülden verpacktes Sahnebonbon aus dem Teller mit dem Zettel ›Für die Süßen‹ und wollte sachte dem Sekretariat entschweben, ohne durch irgendeine tölpelhafte Unachtsamkeit die positive Grundstimmung noch unnötig zu gefährden.
»Böööönle!«, donnerte es hinter mir. »Bönle, sofort zurück! Hier, Platz!«
Ich machte erschrocken kehrt. Saitling, mein Rektor, stand immer noch am Fenster. Er deutete durch die Scheibe auf den Parkplatz. Hastig ließ ich das rutschige Sahnebonbon hinter meinen Lippen verschwinden.
»Bönle, was ist das?«
Seine Finger deuteten fuchtelnd zum Fenster.
»Eine Fensterglasscheibe?«
»Bönle, was ist das da auf meinem Parkplatz? Das kann doch nur Ihnen gehören!«
Ich schaute auf den Parkplatz und sah meinen wunderbaren Mercedes W 110 Diesel, Heckflosse, Baujahr 1963. Den hatte ich zu Beginn der fünften Stunde auf Saitlings Parkplatz abgestellt, weil zu dieser Zeit keine Parkplätze mehr frei waren, außer unzählige Behindertenparkplätze und Frauenparkplätze.
»Gehört dieses urzeitliche Gefährt auf meinem Parkplatz Ihnen?«
»Ja.«
»Wo ist mein Mauntenbeik?«
»Das habe ich zu den überdachten Fahrradständern gestellt, ich dachte …«
»Was fällt Ihnen ein, Bönle? Und Sie sollen hier nicht denken! Das ist mein Parkplatz! Bönle, Bönle, Sie fahren jetzt sofort Ihren Auldtaimer da weg und stellen mein Mauntenbeik wieder dort hin, wo es ursprünglich war. Was glauben Sie, warum da ein Schild mit meiner Nummer steht?«
»An Ihrem Mountainbike war keine Nummer.«
»Bönle, zügeln Sie sich! Das ist Amtsanmaßung, was Sie betreiben! Halten Sie sich einfach an die Regeln! Sie müssten sich doch mit Geboten auskennen, es gibt ja nicht umsonst die Zehn Gebote. Was sagen Sie dazu?«
»Jawohl, Herr Oberstudiendirektor, die Zehn Gebote. Da steht aber nichts von einem Fahrrad und einem Parkplatz. Ich dachte einfach, bevor ich nirgendwo parken kann, stelle ich mich …«
»Denken Sie nicht schon wieder! Denken Sie lieber, was Sie anrichten, und ob Sie das mit Ihrem ethischen Gewissen überhaupt vereinbaren können, so
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