Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
Leichenteile waren der Beweis.«
»Warum haben Sie das überhaupt ans Scheunentor gemacht?«
Ann-Kathrin lächelte kurz und schaute zum Fenster hinaus:
»Das ist ganz einfach, es sollte eine Warnung sein.«
»Eine Warnung? An wen?«
»An die Täterin – meine Mutter!«
Im Klassenzimmer hämmerte die Stille im synchronen Herzschlagrhythmus der Schüler.
»Ja, ich wusste, dass meine Mutter für die beiden Morde verantwortlich war.«
»Woher wussten Sie das?«
»Da muss ich wieder weit zurück. Es gab eine Phase, da wollte ich wissen, wer ich bin, ich war auf der Suche nach mir selbst. Ich war 16 oder 17. Ich wollte auch wissen, warum mich meine Mutter nicht mehr besuchte. Mich interessierte vor allem, wie mein Vater aussah und wie er als Mensch war. Ich nahm eine Stelle an im Restaurant auf dem Höchsten, in der Küche. Von hier aus konnte ich mit wenig Aufwand das Treiben auf dem Hof meiner Eltern beobachten. Da sah ich irgendwann auch zum ersten Mal meinen kleinen Bruder.«
Liebevoll lächelte Ann-Kathrin zu Tobi, der betont lässig mit weit ausgestreckten Beinen in seinem Stuhl hing. Sein bleiches Gesicht wurde von einer kurzweiligen Hagebuttenröte überzogen. Er räusperte sich und setzte sich aufrecht hin.
»Ich wollte also wissen, wer ich bin, ich habe nach meinen Wurzeln gesucht. Abends bin ich oft stundenlang um den Hof geschlichen und habe meine Familie beobachtet. Meinen Vater fand ich zuerst gar nicht so schlimm, bis es passierte. Ja. wie soll ich das erklären? Auf jeden Fall war da diese hübsche, kleine Asiatin, eine Vietnamesin. Vater hatte sie als Verkäuferin eingestellt … nicht nur als Verkäuferin. Ich musste aus meinen Verstecken heraus mit ansehen, wie er mit seinen Weibergeschichten meine Mutter demütigte. Die hatte nämlich alles mitbekommen, was da mit der Asiatin lief.«
Vicky meldete sich bedächtig, klimperte mit ihren überlangen Wimpern und fragte mit rauchiger Stimme:
»Warum hat dann Ihre Mutter diese Schlitzbüchs nicht rausgeschmissen?«
Ich fuhr auf:
»Bitte Vicky, keine Ausdrücke!«
»Sorry, Herr Bönle, ich meinte, äääh, die Schlampe!«
Ann-Kathrin nickte mit ernstem Gesicht:
»Das ist eben das Problem, wenn sich eine Frau nie emanzipiert hat. Sie war meinem Vater hörig und außer Metzgern und Haushalt konnte sie ja nichts. Was sollte sie tun? Dann hat sie eines Abends doch gehandelt. Es war auch im Herbst, ich hatte sie beobachtet und mich noch gewundert, warum sie die kleine Asiatin zum Mittagessen eingeladen hatte. Denn mein Vater war mit der Oma und dem kleinen Tobi weg. Die kleine Asiatin hat das Essen nicht überlebt. Meine Mutter hat die Leiche dann mit dem Traktor ins Ried gefahren … und ihr eine Rippe herausgeschnitten. Ich bin dann geflohen. Ich konnte das alles nicht einordnen. Dann war ich eine längere Zeit am Bodensee, bin herumgetingelt, mal hier, mal dort gekellnert, Ravensburg, Sigmaringen, Riedlingen, Saulgau. Immer in der Nähe, um meine Mutter und den Rest der Familie beobachten zu können. Interessant wurde es wieder, als Tobi seine Freundin mitbrachte und wie er versuchte, vor seinen Eltern zu verheimlichen, dass es seine Freundin ist. Da wurde es wirklich spannend, das war für mich wie der Einblick in ein Aquarium. Weil ich ohne Arbeit war, zog ich in die Gesindekammer auf dem Hof meiner Eltern ein. In der Höhle des Löwen ist man am sichersten.«
Ann-Kathrins triumphierender Blick durchwanderte die Klasse. Die Schüler waren in dieser fünften Stunde frischer und interessierter als in jeder anderen. Die Köpfe leuchteten, die Münder waren leicht geöffnet und Augen und Ohren sogen den Fluss der spannenden Erzählung auf. Ann-Kathrin nahm einen Schluck aus einer Kunststoffmineralwasserflasche und fuhr fort.
»Irgendwie hatte ich geahnt, dass etwas passieren würde, aber doch nicht noch einmal so etwas. Mein Vater, das Schwein, war natürlich auch sofort hinter der Alexandra her, die wusste sich kaum zu wehren. Meine Mutter hatte nicht begriffen, dass Alexandra gar nichts von meinem Vater wollte, sondern ein Opfer seiner Geilheit war. Sie dachte in ihrem Wahn, Alexandra würde sich an ihn heranmachen. Dann hat sie wohl auch wieder Pilze gekocht, um sie zu vergiften. Zu diesem Zeitpunkt war ich nicht am Hof, ich war in Sigmaringen, Besorgungen machen. Nur am Verhalten meiner Mutter merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Und als ich ihr ins Ried folgte, wusste ich, dass mich mein Gefühl nicht getäuscht hatte. Ich sah die
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