Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
entnommen… als Metzgersfrau war das für sie kein Problem. Warum sie das Unterhemd dann doch mitgenommen hat, ich weiß es nicht. Vielleicht als Trophäe, und als die Holds dann das Kreuz für Alexandra aufstellen …«
Ann-Kathrins Stimme erstickte. Sie senkte kurz den Kopf, räusperte sich und fuhr mit leiser Stimme fort:
»Es kann sein, dass das Weiß des Hemdes als Farbe der Unschuld sie dazu bewegt hat. Vielleicht wollte sie irgendeine Art von Abbitte leisten, indem sie das Hemd dann an das Kreuz hängte. Das Kreuz ist ein Auferstehungssymbol, vielleicht wollte sie so etwas ihrer Schuld rückgängig machen. Ich weiß es einfach nicht. Das sollen Psychiater klären.«
»Was geschieht nun mit Ihrer Mutter?«
»Ich denke, die Chancen stehen gut, dass sie in die forensische Psychiatrie eingewiesen wird, Experten können ihr vielleicht helfen, das zu verstehen, was sie anderen angetan hat.«
Von Abwinkel-Krausermann nickte zustimmend und ernst, er fragte unsicher:
»Gibt es sonst noch Fragen, die meine Patientin beantworten könnte?«
»Wie war das mit dem Sergej? Haben Sie den wirklich halb totgeschlagen, als er auf Tobi geschossen hat?«
Ann-Kathrin musste laut lachen. Sie warf ihren Kopf weit ins Genick und sagte:
»Das war so. Schon am Vortag hatte ich bemerkt, dass da jemand den Hof meiner Eltern beobachtete. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wer das war. Hätte ich geahnt, dass er Tobi erschießen will, hätte ich die Polizei eingeschaltet. Am nächsten Tag bin ich ihm einfach gefolgt. Zuerst war er auf Bönles Grundstück, dann ging er zur Gastwirtschaft. Ich dachte mir schon, dass er etwas von Tobi wollte, aber das … Auf jeden Fall, als er plötzlich die Waffe zog, war mir alles klar. Ich sprang auf ihn zu und schlug ihm mit einem Prügel gegen den Arm. Wenn Tobi nicht hätte niesen müssen und ich Sergej nicht getroffen hätte …«
Mit wässrigen Augen blickte sie zu ihrem Bruder.
»Ich habe dann noch ein paar Mal auf ihn eingedroschen. Dann ist er abgehauen – und ich auch. Weitere Fragen?«
»Frau Fränkel, warum haben Sie Ihre Mutter nicht schon beim ersten Mal angezeigt? Jetzt sind zwei Menschen tot.«
»Ich konnte es nicht, ich hatte ein völlig verklärtes Bild von meiner Mutter. Das könnt ihr nicht verstehen, sie war immer noch die Mutter meiner Kindheit. Ich hatte sie einmal verloren, vielleicht wollte ich sie nicht auf diese Art, als Mörderin, noch einmal verlieren. Es gab für mich nichts Schöneres, als sie zu beobachten. Sie war, äääh ist meine Mutter, und sie wird es immer bleiben. Hätte mein Vater, der geile Bock … ach, lassen wir das. Man muss einfach verstehen, was sie durchgemacht hat. Sie hat mir erzählt, dass die Asiatin sie immerzu angegrinst und verhöhnt hätte. Und der Horst hat sie sogar mit ins Haus genommen. Das muss man sich mal überlegen! Überall, in der Metzgerei und im eigenen Haus, wurde meine Mutter mit der Geliebten ihres Mannes konfrontiert.«
Ann-Kathrin wirkte erstmals emotional aufgewühlt. Sie hatte rote Flecken auf der Stirn und ihre Stimme war laut geworden. Ihre Augen suchten jenseits des Fensters die Weite. Mit zittrigen Händen griff sie in ihre Tasche.
»Den Zettel hat sie mir mitgegeben und hat gesagt, das sei ihr Vermächtnis. Es ist ein Gedicht.«
Mit leiser, aber fester Stimme las Ann-Kathrin vor, was ihre Mutter in höchster Seelenpein verfasst hatte:
»Ripp hat mich ausgelacht
Ich seh, hör, rieche sie im Haus
Pilze hab ich angemacht
Pust das Lebenslicht ihr aus und schneid ihr eine
Ripp heraus
RIP(P) steht am Kreuz mit blut’ger Schrift
Ich seh, hör, riech sie immer noch
Pilze wirken durch ihr Gift
Pein und Not leid ich all Tag, ich seh die Rippe
immer doch
Requiescat
In
Pace
Puella.«
Die Stille im Klassenzimmer wurde durch das Schniefen Tobis unterbrochen. Alisa meldete sich:
»Was heißt Pulla?«
»Puella … Requiescat in pace, puella. Das ist Lateinisch und bedeutet: Das Mädchen soll in Frieden ruhen. Puella heißt Mädchen.«
»Woher konnte Ihre Mutter Lateinisch?«
»Meine Mutter ist eine gebildete Frau, sie hat Abitur. Was glaubt ihr, warum sie unter all dem so gelitten hat? Bestimmt nicht, weil sie zu dumm zum Begreifen war. Eine kluge, hübsche Frau, die in einer Metzgerei auf dem Land dahinvegetiert. Den ganzen Tag Tiere zerschneiden und verwursten. Der Mann rennt jeder Schürze hinterher. Die harte Arbeit auf dem Hof … Mädchen, schaut, dass ihr etwas aus euch macht! Was
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