Riemenschneider
Altar?«
Hans Schmid schüttelte unmerklich den Kopf. »Schlimmer muss es wohl sein. Ein Junge steht draußen. Florian. Soweit es der Ratsdiener verstanden hat, geht es um deine Frau.«
Trockenheit, unvermittelt klebte die Zunge am Gaumen. »Ich komme«, murmelte Til, schob Georg Suppan sanft, aber bestimmt aus dem Weg, sah nicht die betroffenen Gesichter der Kollegen, nicht den Diener, der ihm die Saaltür öffnete.
Bei der Treppe stand Florian, verloren, frierend, das vom Regen nasse Haar klebte an Stirn und Nacken. »Sie ist gefallen, Herr. Mehr weiß ich nicht.« Er trug den dünnen Hauskittel, für einen Umhang schien keine Zeit gewesen zu sein. »Ich durfte nicht hin, keiner von uns durfte das. Mutter hat nur gerufen, dass ich Euch schnell holen sollte.«
»Ist gut, Junge.« Til nahm ihn an der Schulter. »Lass uns nachsehen!«
Weite Schritte über das glitschige Pflaster am Fischmarkt, durch Pfützen. Florian musste neben dem großen Mann herlaufen. Weil auch Til seinen Schultermantel im Sitzungssaal zurückgelassen hatte, durchnässte ihn der Regen ebenso wie den Jungen, doch beide kümmerte es nicht.
»Wer ist noch bei Frau Anna?«
»Ich weiß es nicht.«
»Holt jemand den Doktor?«
»Weiß nicht, Herr.« Florians Stimme wurde kleiner, heller. »Ich … ich musste doch gleich los.«
»Lass nur. Deine Mutter weiß sicher, was zu tun ist.«
Die Pforte im hohen Tor stand offen. Düster war die überdachte Hofeinfahrt. Auf dem Weg mit Florian zum Wohnhaus sah der Meister seine Gesellen und Lehrbuben vor der Werkstatt schweigend beieinanderstehen.
»Was vertrödelt ihr die Zeit?«, rief er hinüber, wartete aber die Antwort nicht ab. Im Flur stützten sich zwei Mägde gegenseitig; bei seinem Erscheinen schluchzten sie auf, wischten sich die Augen mit den Schürzen.
»Wo ist meine Frau?«
»Im …«, haltloses Weinen brach sich Bahn, »im Keller. Die Herrin … Unten ist sie.«
Til fragte nicht weiter, hart schlug das Herz in seinem Hals, schmerzte in den Schläfen. Florian sollte bei den Mägden zurückbleiben.
Ehe er den Zugang erreichte, verließ der Stadtphysikus eilig den Keller. Til blieb vor ihm stehen, las in dem bedauernden Blick das Ausmaß des Unglücks. »Es tut mir leid, Meister. Schrecklich, aber da kam jede Hilfe zu spät.« Der Doktor reichte dem Bildschnitzer die Hand. »Ich werde das Nötige veranlassen, auch den Frauen Bescheid geben. Verzeiht die Eile, aber ich muss ins Sander Viertel. Da wartet noch ein Patient. Dem werde ich, so Gott will, helfen können.«
Wie einem Fremden sah Til ihm nach, dann wandte er sich dem gewölbten Eingang zu, beugte den Kopf, um nicht an die Steine zu stoßen, und betrat die Stufen.
Tief unten, am Fuß der steilen Treppe erkannte er Magdalena. Sie kauerte dort mit dem Rücken zu ihm, war umgeben von einem Kranz aus Öllichtern und wiegte sich vor und zurück. Auf halbem Weg hinab erfasste sein Blick den Kellerraum. Im leichten Flackern der Lichter drang das Bild tief in ihn hinein. Neben dem Brunnenrand ruhte der schmächtige Körper auf einer Decke, das Hauskleid war etwas hochgerutscht, der rechte Fuß hatte den Holzschuh verloren. Daneben lagen weiße Laken bereit.
Til hatte die unterste Stufe erreicht. Nur wenige Schritte und doch ein weiter Weg bis zum Kranz der Öllichter. Magdalena barg Annas Kopf in ihrem Schoß, sie hatte das Gesicht mit ihrem hellen Brusttuch bedeckt. Blutflecke waren durchgedrungen.
Sie sah zu ihm auf. Ein weher Blick. »Ich will ihr noch ein wenig Wärme geben. Bevor …« Tränen füllten die Augen. »Bevor es jetzt immer kalt sein wird für sie.«
Er ließ sich auf die Knie nieder, seine Hand tastete über Magdalenas Arm zum Gesicht in ihrem Schoß hin. »Es darf nicht sein.« Nur ein Flüstern. »Was ist geschehen?«
Magdalena berührte seine Finger. »Nicht anschauen, Herr. Behaltet sie in Erinnerung, wie sie war. Die schönen großen Augen, der Mund …«
»Du musst mich nicht schützen. Anna ist meine Frau …« Er hob das Tuch und stöhnte auf. »O großer Gott …« Behutsam verhüllte er wieder das zerstörte Gesicht und saß nur da. Sie wiegte das verlorene Leben weiter in ihrem Schoß. Nach einer Weile schüttelte er unmerklich den Kopf. »Wir können Anna nicht hier unten lassen.«
»Nein. Ich habe auf Euch gewartet, deshalb sind wir noch hier, deshalb habe ich die Lichter aufstellen lassen. Vielleicht sollte Rupert helfen …?«
Til wehrte ab. »Ich werde Anna alleine tragen. In der Wohnstube können dann die Klagefrauen
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