Riemenschneider
und vom Teufel umgeben. Aber ich fürchte mich nicht …«
Endlich in der Küche angelangt, keucht und hustet er, muss warten, bis sein Atem ruhiger wird, dann erst kann er den Krug an die Lippen führen. Wasser! Martin trinkt, setzt nicht ab, leert das Gefäß, und ihm ist, als sauge er ein Meer, angefüllt mit kühlem Labsal, in sich hinein.
Zurück, niemand darf ihn hier antreffen. Stufe für Stufe erkämpft er die Höhe, erst auf der Spitze des Berges, erst im Schlafraum unter dem Dach ist er in Sicherheit. Auch wenn der Obere den leeren Krug in der Küche bemerkt, ohne Beweis wird er Martin nicht beschuldigen und bestrafen können.
Schon nähern sich draußen Stimmen dem Bruderschaftshaus am Diebshorn. So hastig der Kranke es vermag, windet er sich über den Boden der Dachstube. Unten klappt die Tür. Mit letzter Anstrengung zieht sich Martin Luther aufs Strohlager. Kaum liegt er auf dem Rücken, sinken Firstbalken und Schindeln herab, werden zu Schutz und Schild, und tiefer Schlaf hebt ihn auf.
Florenz
Der Scheiterhaufen ist errichtet. Auf dem weiten Platz vor dem Palazzo della Signoria ragt er bedrohlich in den Himmel. Jede der acht Seiten ist hundertzwanzig Ellen breit, sieben Stufen führen hinauf, und jede soll an eine der Todsünden gemahnen.
Girolamo Savonarola hat Florenz aller Schönheit beraubt. Bewaffnet mit Knüppeln und angetan mit weißen Kitteln, waren seine Engelhorden in den vergangenen Wochen durch die Straßen gezogen. Sie ließen sich Bücher, Schmuck und Perücken aushändigen, Kleider, Gemälde, Teppiche und Musikinstrumente; nichts, an dem ein Herz hing und sich erfreuen konnte, durfte im Haus bleiben. Und wer nicht freiwillig gab, dem entrissen die kahlgeschorenen und von einem Mitbruder Savonarolas für diese Raubzüge gut trainierten Halbwüchsigen gewaltsam die Schätze.
Am Abend sind die Stufen des Scheiterhaufens überladen, und aus der Spitze ragt ein Pfahl, an dem Satan angekettet ist, eine furchterregende Figur aus Draht, Papierbrei und Wachs. Aus vorquellenden Augen starrt das Monster auf die versammelte Menschenmenge hinunter. Fanfarenstöße!
Fra Girolamo Savonarola wendet sich an das Volk: »Brüder und Schwestern!« Seine krächzende Stimme schneidet: »Die Feststunde naht. Nun dürft ihr euch von allen Todsünden befreien. Verbrennen soll in euren Herzen die Eitelkeit, der Neid und der Zorn, der Geiz und die Unkeuschheit, die Unmäßigkeit und alle Trägheit des Glaubens. Freuet euch! Denn wir reinigen heute unser neues und einzig wahres Königreich!« Der knochige Finger stößt hinauf. »Für Jesus Christus, den Herrscher von Florenz!«
Zugleich legen die Engel das Feuer an den Scheiterhaufen.
Posaunenklänge. Trommelwirbel. Die Flammen lecken höher. Schießpulver entzündet sich. Eine Lohe schlägt hinauf, gleich folgt die nächste und nächste. Das Feuer springt von Stufe zu Stufe höher. Schon züngeln die Flammen nach dem Popanz hoch oben am Schandpfahl. Explosionen entfachen den Glutwind. Er treibt die fahlroten Säulen aus der florentinischen Hölle weit in den Nachthimmel!
»Hosianna!« Die schwarzen Mönche wandern singend um den Scheiterhaufen. Brennende Kleiderfetzen, Perücken und Buchseiten regnen auf sie nieder, unbeirrt aber setzen sie ihren Lobgesang fort.
Und das Volk schreit, brüllt und geifert voller Inbrunst: »Es lebe Jesus Christus! Es lebe Jesus Christus!«
Der Flammenturm, das lodernde Fanal für den Anbruch einer neuen Zeit, wächst über die Dächer der Stadt und verbrennt das Sternenmeer zu Rauch. Es ist die Nacht des 7. Februar im Jahre des Herrn 1497.
Würzburg
Im samtenen Stoff der Haube schimmern Perlen und Edelsteine. Langsam, fast behutsam, bewegt Anna den Kopf. Doch aus Angst, die Brautkrone zu verlieren, wagt die Siebzehnjährige nicht, zu ihm aufzuschauen. So beugt sich Meister Til etwas hinunter, und nacheinander bekräftigen sie vor Gott und Priester das Eheversprechen. Die dunkle, volle Stimme steigt auf, gefolgt von der kleinen hellen Stimme, und beide vereinen sich im hohen Gewölbe der Marienkapelle.
»Das unschuldige Mädchen und sein Beschützer«, seufzt Margaretha Cronthal. »Ich muss weinen.« Sie verbirgt das Gesicht an der Schulter ihres Gatten. Mit leichtem Hüsteln rückt der Notar die Brille zurecht und lässt sie gewähren.
Hedwig Suppan reckt das Kinn, Stolz leuchtet in den Augen. »Mein Verdienst.«
Neben ihr schüttelt Ehemann Georg den Kopf. »Nein, Teuerste«, flüstert er. »Ich habe diese Heirat angebahnt
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