Ring aus Feuer
aussichtslosen Fantasien hingegeben. Sie hatte Stavros auf ein Podest gehoben und ihn zu einer Heldenfigur gemacht. Sie hatte etwas – oder jemanden – gebraucht, um ihr genug Halt zu geben, die schlaflosen Nächte voller Angst überstehen zu können.
Es fiel ihr schwer, diese Traumvorstellungen loszulassen, nachdem sie nun die Realität vorgefunden hatte. Energisch richtete sie sich auf und stellte sich Stavros’ schonungsloser Laune.
„Wir müssen reden“, begann er. Seine tiefe Stimme ging ihr direkt unter die Haut.
„Ich dachte, das wäre überflüssig“, gab sie ruhig zurück. „Du glaubst doch ohnehin kein Wort von dem, was ich sage.“
Ihr fiel auf, dass ein kleiner Muskel in seinem Gesicht zu zucken begann. Am Hals konnte sie seinen heftigen Pulsschlag erkennen. Dieser Mann war ganz offensichtlich extrem angespannt.
„Stimmt, ich habe dir nicht geglaubt. Ich dachte, deine Geschichte sollte lediglich mein Mitleid erregen.“
Verwundert stellte Tessa fest, dass er seine Haltung offenbar geändert hatte. „Warum denkst du das jetzt nicht mehr?“, fragte sie unumwunden.
„Meine Leute haben jeden deiner Schritte nachvollzogen, einschließlich deiner Kontaktaufnahme mit der australischen Botschaft vor zwei Wochen.“ Er machte eine kurze Pause und atmete tief ein. „Sie haben bestätigt, dass es kein einziges Lebenszeichen von dir nach dieser Explosion gab.“
Seinen Mitarbeitern glaubt er, aber mir nicht, dachte sie verächtlich. Aber was hatte sie auch erwartet? Dass er im Handumdrehen seine Vorurteile überwinden konnte?
„Dann weißt du ja jetzt Bescheid.“
Das Schweigen zwischen ihnen zog sich unerträglich in die Länge.
„Es ist meine Schuld“, presste er hervor. „Ich hätte besser auf dich achtgeben müssen. Es gab damals in San Miguel noch einen anderen Weg zum Flughafen. Den hätten wir nehmen sollen.“
Tessa traute ihren Ohren nicht. Niemals hätte sie erwartet, dass er sich für den schrecklichen Unfall verantwortlich fühlen könnte.
„Du konntest doch von der Bombe nichts wissen.“
„Es wäre meine Aufgabe gewesen, es rechtzeitig herauszufinden“, erläuterte er nachdrücklich und machte einen Schritt auf sie zu. In seinen Augen spiegelte sich sein schlechtes Gewissen wider und … echter Schmerz.
Vergessen war die schlechte Art, wie er sie auf seinem Anwesen empfangen hatte. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft erkannte Tessa Züge des Mannes wieder, den sie in ihrer Erinnerung hatte: seine Stärke und vor allem seine Rolle als Retter und Beschützer, die er niemals infrage stellte. Er verfügte über eine ehrenhafte Auffassung von Anstand und Moral, die einen Teil von Tessas schützender Schale aufsprengte, hinter der sie sich seit einiger Zeit verbarg.
Stavros war in ihren Augen nicht mehr der unverletzbare Tyrann, vor dem sie sich die vergangenen Tage über gefürchtet hatte.
„Es war doch nicht deine Schuld“, versicherte sie ihm mit erstickter Stimme. „Du hast alles getan, was in deiner Macht stand. Mehr als jeder andere für mich getan hat.“
Nachdenklich rieb er sich die Stirn. „Aber es war nicht genug“, widersprach er bitter. „Ich hatte die Verantwortung für dich übernommen.“
Dieser plötzliche Umschwung seiner Gefühle überforderte Tessa, und ihre Knie gaben nach. Sie schwankte und fiel auf eine der breiten Sonnenliegen. Hastig schlang sie das Badehandtuch um ihre Beine, so als hätte sie diesen Sturz beabsichtigt.
Doch Stavros war schon an ihre Seite geeilt. „Du bist krank.“
Sie schüttelte den Kopf, aber er ließ sich nicht beirren. „Du brauchst einen Arzt.“
„Nein, mir fehlt nichts.“ Jedenfalls nichts, was Ruhe und Erholung nicht kurieren könnten.
„Mir hat man etwas anderes berichtet“, entgegnete er beharrlich.
„Du hast mit dem Arzt über mich gesprochen? Was ist mit der ärztlichen Schweigepflicht?“
Stavros machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. Es bestand kein Zweifel daran, dass er generell bekam, was er wollte.
Und Tessa fehlte die Kraft, um eine Grundsatzdiskussion zu beginnen. Im Augenblick hatte sie genug mit dem Gefühlschaos in ihrem Herzen zu tun. Sie wusste nicht mehr, wie sie Stavros einschätzen sollte. Aus ihrem Traumprinzen war ein Diktator geworden, der sich nun wieder in einen mitfühlenden Helden verwandelte.
Entschlossen zückte er sein Mobiltelefon und sprach kurz darauf in schnellem Griechisch hinein. Tessa verstand nur ein Wort, Michaelis, den Namen des
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