Ringwelt 04: Brennans Legende
wohlproportioniert: Flatlanderproportionen. Sie war gut in Form und stolz darauf, und es machte sie regelmäßig wütend, daß andere Belter sie noch immer für eine Flatlanderin hielten.
Tina hatte die Erde mit einundzwanzig verlassen. Sie lebte inzwischen seit vierzehn Jahren im Belt und war auf Ceres gewesen, auf Juno, Merkur, in der Hera-Station, die den Jupiter in einem flachen Orbit umkreiste, und in den nachlaufenden Trojanern. Sie betrachtete den Belt und das gesamte Sonnensystem als ihr Zuhause. Es spielte keine Rolle, daß sie noch nie ein Einmannschiff gesteuert hatte. Das ging vielen Beltern so. Die Schürfer in ihren kleinen Schiffen waren lediglich ein Aspekt der Belter-Industrie neben Chemikern, Physikern, Astrophysikern, Politikern, Astronomen, Datenverarbeitern, Händlern … und Computerprogrammierern.
Vor langer Zeit hatte sie gehört, daß es im Belt keine Vorurteile gegen Frauen geben sollte. Und es stimmte tatsächlich! Auf der Erde wurden Frauen noch immer schlechter bezahlt oder hatten schlechtere Stellen. Arbeitgeber behaupteten hartnäckig, daß für gewisse Jobs mehr körperliche Kraft erforderlich sei oder daß Frauen immer dann kündigen und heiraten und Kinder bekommen würden, wenn sie im Betrieb am dringendsten gebraucht wurden, oder daß Familien darunter zu leiden hätten, wenn die Frauen arbeiten gingen. Im Belt lagen die Dinge anders. Tina war eher überrascht als erfreut gewesen, denn sie hatte mit einer Enttäuschung gerechnet.
Und nun war sie, eine Programmiererin und Frau, die wichtigste Person an Bord der Blue Ox. Es erfüllte sie ebenso sehr mit Freude wie mit Furcht. Furcht um Nate, der zu jung war, um ein derartiges Risiko einzugehen – schließlich hatte es bereits eine Begegnung mit dem Outsider gegeben, und man hatte seither von dem betreffenden Belter nichts mehr gehört.
Was machte Nate an Bord des kleinen Einmannschiffs?
Sie half Einar aus seinem Druckanzug – der Bursche war ein wahrer Fleischberg und hätte sich auf der Erde niemals auf den Beinen halten können – dann ließ sie sich wiederum von ihm helfen. »Ich dachte, Nate sollte an Bord des Outsiderschiffs gehen?« fragte sie.
Einar starrte sie überrascht an. »Was? Nein, nicht Nate. Sie.«
»Aber …«
Tina suchte nach Worten, und zu ihrem Entsetzen fiel ihr nur eine Antwort ein: Aber ich bin doch eine Frau! Sie schwieg verbissen.
»Denken Sie drüber nach«, fuhr Einar mit erzwungener Geduld fort. »Das Schiff ist vielleicht nicht leer. Es könnte sich durchaus als gefährlich erweisen, an Bord zu gehen.«
»Stimmt genau«, antwortete sie mit Nachdruck in der Stimme.
»Also geben wir demjenigen von uns, der an Bord geht, allen Schutz, den wir gewähren können. Die Blue Ox ist ein Teil davon. Ich halte den Antrieb in Bereitschaft; wir verglühen den Bastard, falls er auf schräge Gedanken kommen sollte. Unser Nachrichtenlaser brennt auf diese Entfernung Löcher in sein Schiff. Andererseits besteht die nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit, daß die Blue Ox selbst angegriffen wird.«
»Deswegen steht das Einmannschiff bereit.« Tina machte eine wegwerfende Geste. »So weit bin ich mit meinen Überlegungen selbst gekommen. Ich dachte nur, ich sollte …«
»Nein, nun werden Sie nicht albern. Sie haben im ganzen Leben noch nie ein Einmannschiff gesteuert, Tina. Selbst ich habe keine große Wahl. Ich dachte zuerst, ich würde Nate zurücklassen und ihm das Kommando über die Blue Ox übertragen, aber zur Hölle, sie ist mein Schiff, und Nate kennt sich mit den kleinen Flitzern aus. Sie hingegen sind für keine von beiden Aufgaben geeignet.«
»Vermutlich nicht.« Nach außen hin blieb sie ruhig, doch in ihrem Magen breitete sich eiskalte Furcht aus.
»Sie wären ohnehin die beste Wahl gewesen«, fuhr Einar fort. »Sie werden Kontakt mit dem Outsider herstellen und versuchen, seine Sprache zu entziffern. Davon abgesehen sind Sie Flatlanderin und rein physisch die stärkste von uns allen.«
Tina nickte mechanisch.
»Sie hätten zu Hause bleiben können, das wissen Sie selbst.«
»Oh, das ist es nicht. Ich hoffe, Sie denken nicht, ich will mich drücken. Ich habe nur nicht … nicht …«
»Nein, Sie haben die Sache nicht bis zu Ende durchdacht. Sie werden sich daran gewöhnen müssen, wenn Sie hier bei uns im Belt leben, Tina«, schloß Einar freundlich.
Verdammter Mistkerl.
Der Marsstaub ist einzigartig.
Seine Einzigartigkeit rührt aus dem Phänomen der Vakuumzementierung.
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