Ringwelt 05: Crashlander
nicht mit einer Außenweltlerbrieftasche durch die Stadt spazieren! Das nächste Mal, wenn Sie an einen Taschendieb geraten, bemerkt der es vielleicht erst, wenn Sie längst verschwunden sind!«
»Sie meinen, Sie haben meine Brieftasche gestohlen?«
»Sicher! Meinen Sie vielleicht, ich hätte sie gefunden? Glauben Sie allen Ernstes, ich würde meine kostbaren Hände unter all diesen spitzen Absätzen riskieren?«
»Was, wenn ich einen Polizisten rufen würde?«
»Polizisten? Ach so, Sie meinen ein Steingesicht!« Sie lachte unbekümmert. »Lernen Sie, Mann, oder gehen Sie unter. Es gibt kein Gesetz gegen Taschendiebstahl. Sehen Sie sich doch nur um!«
Ich sah mich um, dann blickte ich hastig zu ihr zurück, weil ich fürchtete, sie könnte verschwinden. Nicht nur mein Bargeld, auch eine Zahlungsanweisung der Bank von Jinx über vierzigtausend Kredits befanden sich in dieser Brieftasche. Alles, was ich besaß.
»Sehen Sie? Vierundsechzig Millionen Menschen allein in Los Angeles. Achtzehn Milliarden auf der gesamten Welt. Angenommen, es gäbe ein Gesetz gegen Taschendiebstahl, wie wollten Sie es durchsetzen?« Sie nahm mit einer geschickten Bewegung das Bargeld aus der Brieftasche und gab sie mir zurück. »Besorgen Sie sich möglichst schnell eine neue. Eine mit einem Adreßfeld und einem Fenster für eine Zehntel-Kredit-Briefmarke. Schreiben Sie sofort Ihre Adresse darauf und kaufen Sie die Briefmarke. Dann kann der nächste, der Ihnen die Geldbörse stiehlt, das Geld herausnehmen und sie in den nächsten Briefkasten werfen – kein Schweiß, keine Tränen. Andernfalls verlieren Sie Ihre Kreditkarten, Ihren Ausweis, einfach alles.«
Sie stopfte sich zweihundert Kredits in Scheinen zwischen die Brüste und bedachte mich mit einem blitzenden Abschiedslächeln, bevor sie in der Menge verschwand.
»Danke!« rief ich ihr hinterher. Ja, das rief ich tatsächlich. Ich war noch immer völlig befremdet, doch sie war allem Anschein nach dageblieben, um mir zu helfen. Sie hätte genauso gut meine Brieftasche samt Inhalt behalten können.
»Kein Problem!« hörte ich sie noch rufen.
Ich trat bei der ersten Transferkabine vom Band, warf einen halben Kredit in den Schlitz und wählte die Adresse von Elephant.
Das Vestibül war Ehrfurcht gebietend.
Ich hatte ein Vestibül erwartet, denn warum sollte jemand sich eine Transferkabine in die eigene Wohnung stellen, wenn jeder Dieb einfach einbrechen konnte, indem er die richtige Nummer wählte?
Wer sich eine private Transferkabine leisten kann, der besitzt auch ein Vestibül mit einer verschlossenen Tür und einem Interkom darin.
Ich landete in einem Vestibül von der Größe eines ausgewachsenen Wohnzimmers, möbliert mit Massagestühlen und einem Autovendor. Es gab einen Interkom, doch er war zweidimensional, ein wenigstens dreihundert Jahre altes, flaches Videofon, restauriert für wahrscheinlich das Hundertfache seines ursprünglichen Kaufpreises. Es gab auch eine verschlossene Tür; eine Doppeltür aus einem Material wie poliertem Messing, mit zwei gewaltigen, geschwungenen Griffen, und mindestens fünfzehn Fuß hoch.
Ich hatte zwar erwartet, daß Elephant keine materiellen Sorgen kannte, doch dies war eindeutig zu viel. Mir wurde bewußt, daß ich ihn nie vollkommen nüchtern erlebt hatte, und daß ich es gewesen war, der sein Angebot, mir die Erde zu zeigen, abgelehnt hatte. Vielleicht hatte eine einfache morgendliche Kopfschmerztablette ausgereicht, um mich vollkommen aus seinem Gedächtnis zu löschen? Möglicherweise war es besser, wenn ich einfach wieder verschwand. Schließlich war ich es gewesen, der die Erde auf eigene Faust hatte erkunden wollen.
Aber ich kannte nicht einmal die einfachsten Regeln!
Ich trat aus der Transferkabine und warf einen Blick auf die rückwärtige Wand. Sie bestand aus einem einzigen riesigen Panoramafenster – mit nichts dahinter außer blauem Himmel mit Schäfchenwolken. Wie eigenartig, dachte ich und trat näher. Und noch näher.
Elephant lebte auf halber Höhe an einem Steilhang. Einem eine Meile hohen Steilhang.
Das Videofon klingelte.
Beim dritten ohrenbetäubenden Läuten antwortete ich, hauptsächlich, um den Lärm zu beenden. Eine hochnäsige Stimme erkundigte sich: »Ist dort jemand?«
»Ich fürchte, nein«, antwortete ich. »Wohnt hier ein Herr namens Elephant?«
»Ich werde nachsehen, Sir«, antwortete die Stimme. Der Bildschirm hatte sich nicht erhellt, doch ich hatte das deutliche Gefühl, daß ich auf
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