Ringwelt 06: Flatlander

langsam nach oben stieg und genauso langsam wieder zurückfiel. Ich hörte auf, als die Decke über mir naß war und dicke kalte Tropfen auf mich heruntersanken. Ich fühlte mich schon viel besser. Am Boden der Wanne entdeckte ich winzige Löcher und befahl: »Chiron, Whirlpool aktivieren.« Mit einem Mal befand ich mich in einem Wirbel aus Wasser und Luftblasen, die meine Muskeln massierten, die vom Gehen in der niedrigen Gravitation überanstrengt waren.
    Das Telefon klingelte.
    Taffy?
    »Chiron, Whirlpool aus!« befahl ich, und dann: »Anruf entgegennehmen.« Der Bildschirm drehte sich in meine Richtung. Naomi war am Apparat.
    In der niedrigen Gravitation floß ihr langes goldenes Haar bei jeder Bewegung um den Kopf herum. Sie besaß ein ovales Gesicht mit hohen Wangenknochen und war nach neuester Flatlandermode gekleidet und geschminkt: Ihre blauen Augen waren Muster auf den Flügeln eines großen, bunten Schmetterlings. Ihr Mund war klein, und das Gesicht nur einen Hauch fülliger als in meiner Erinnerung. Sie besaß noch immer einen athletischen Körper, groß und schlank, selbst nach Flatlandermaßstäben. Sie steckte in einem blauen, weich fließenden Kostüm, das an ihr klebte, als sei es elektrostatisch aufgeladen. Naomi hatte sich in den letzten vierzehn Jahren verändert, aber nicht sehr … jedenfalls nicht genügend.
    Sie war eine unerwiderte Liebe gewesen, und diese Liebe hatte einen Spätfrühling und den gesamten Sommer angehalten, bis zu jenem Tag, an dem ich meine spärlichen Mittel zusammengekratzt hatte, um von der Erde zu verschwinden und mein Glück als Schürfer im Asteroidengürtel zu versuchen. Die klaffende Wunde in meinem Herzen war seit damals verheilt. Natürlich war sie geheilt, aber trotzdem war wohl eine Narbe zurückgeblieben. Schließlich hatte ich sie in einem überfüllten Restaurant auf den ersten Blick wiedererkannt. Und das aus einer Entfernung, aus der ein Fremder sie kaum als Flatlanderin hätte erkennen können.
    Sie lächelte ein wenig nervös. »Gil. Ich habe dich beim Essen gesehen. Erinnerst du dich noch an mich?«
    »Naomi Horne. Hi.«
    »Hi. Ich heiße heute Naomi Mitchison. Was machst du auf dem Mond, Gil?« Sie klang ein wenig außer Atem. Sie hatte schon immer so geredet, als könne sie die Worte nicht schnell genug ausstoßen, als habe sie Angst, jemand könne sie unterbrechen.
    »Die Konferenz zur Revision der Lunaren Gesetze. Ich bin als Vertreter der ARM gekommen. Was machst du hier?«
    »Ich … bin auf Urlaub hier. Mein Leben ist vor einiger Zeit ein wenig in Unordnung geraten … jetzt erinnere ich mich wieder. Du warst in den Nachrichten. Du hast irgendeinen Drahtzieher der Organpascher geschnappt …«
    »Anubis.«
    »Richtig, Anubis.« Pause. »Können wir uns auf einen Drink treffen?«
    Ich hatte meine Entscheidung längst getroffen. »Sicher. Ich werde nur irgendwie Zeit nehmen. Ich weiß noch nicht, wie beschäftigt ich sein werde. Weißt du, eigentlich bin ich nur hergekommen, weil meine Ex-Partnerin hier oben ist. Sie ist Chirurgin und im Austauschprogramm. Sie arbeitet in der städtischen Klinik. Taffys knappe Freizeit und die Konferenz …«
    »Ja, ich verstehe. Deine Zeit ist knapp.«
    »Aber ich rufe dich an. He, wer war die Frau, mit der du gegessen hast?«
    Sie lachte. »Alan Watson. Er ist der Sohn von Bürgermeister Hove. Ich glaube, der Bürgermeister ist nicht gerade erbaut, daß Alan sich mit einer Flatlanderin eingelassen hat. Lunies sind ein wenig prüde, meinst du nicht auch?«
    »Ich hatte noch keine Gelegenheit, das herauszufinden. Ich bin nicht einmal imstande, das Alter eines Lunies einzuschätzen.«
    »Alan ist neunzehn.« Naomi schien mich aufzuziehen. »Sie können unser Alter auch nicht schätzen. Er ist ganz nett, Gil, aber er meint es viel zu ernst. So wie du damals.«
    »Mmm-hm. In Ordnung, ich lasse dich wissen, sobald ich Zeit finde. Hättest du etwas gegen ein Treffen zu viert? Sagen wir zum Abendessen?«
    »Klingt gut. Chiron, Telefon abschalten.«
    Ich starrte nachdenklich auf den leeren Bildschirm. Ich hatte eine Erektion in der Badewanne. Sie brachte mich immer noch dazu, auf diese Weise zu reagieren. Sie konnte es nicht bemerkt haben; der Aufnahmewinkel war nicht groß genug. »Chiron, Whirlpool aktivieren«, befahl ich, und der verräterische Hinweis verschwand im Wirbel der Luftblasen.
    Seltsam. Sie hielt den Gedanken für amüsant, daß ein Mann versuchen könnte, sie ins Bett zu ziehen. Ich hatte es mir vor