Ringwelt 06: Flatlander
vierzehn Jahren immer und immer wieder selbst eingeredet, doch ich denke nicht, daß ich es geglaubt habe. Genauso wenig wie heute.
Eigenartig: Sie hatte eindeutig erleichtert ausgesehen, als ich ihr von Taffy erzählt hatte. Warum um alles in der Welt hatte sie dann angerufen? Jedenfalls nicht, um sich mit mir zu verabreden! Ich erhob mich in der Badewanne. Eine zolldicke Wasserschicht kam mit hoch. Ich wischte den größten Teil davon mit der Handkante zurück in die Wanne, dann trocknete ich mich gründlich von oben bis unten ab. Das Panoramafenster zeigte nichts außer unendlicher Schwärze, mit Ausnahme eines winzigen leuchtenden Dreiecks.
»Chiron, Lichter aus!« befahl ich. Blind tastete ich nach einem Stuhl und wartete, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Nach und nach gewann die Gegend vor dem Fenster an Konturen. Sternenlicht glitzerte über der zerklüfteten Landschaft im Westen. Auf dem höchsten Berg kletterte das Licht der Morgendämmerung nach unten: ein Anblick, als schwebe der Berg brennend inmitten all der Sterne. Ich beobachtete das Schauspiel, bis das Licht auf einen zweiten Gipfel fiel. Dann stellte ich den Weckalarm und legte mich schlafen.
»Ein Anruf für Sie, Mister Hamilton«, sagte eine neutrale Stimme. »Ein Anruf für Sie, Mister Hamilton. Ein Anruf für …«
»Chiron, Anruf entgegennehmen!« befahl ich gequält. Ich hatte Mühe mich aufzusetzen: Ein breites Band verlief quer über meine Brust. Ich schnallte es los. Auf dem Bildschirm waren die Gesichter von Tom Reinecke und Desirée Porter, die sich tief bücken mußte, um neben Reinecke in die Optik zu sehen. »Besser, Sie haben einen guten Grund, mich zu wecken«, brummte ich.
»Einen guten Grund vielleicht nicht, aber auch keinen schlechten«, sagte Tom. »Wäre ein ARM nicht an einem Mordanschlag interessiert, den man auf einen Delegierten der Konferenz unternommen hat?«
Ich rieb mir die Augen. »Wäre er«, sagte ich. »Um wen geht es?«
»Chris Penzler. Der Vierte Sprecher des Belt.«
»Stört es Sie, wenn ich nackt bin?« Desirée lachte.
Tom antwortete: »Nein. Das macht nur Lunies zu schaffen.«
»Okay. Erzählen Sie mir mehr.« Ich erhob mich aus dem Bett und machte mich daran, meine Kleidung überzustreifen, während sie abwechselnd redeten. Bildschirm und Aufnahmeoptik des Telefons drehten sich und folgten jeder meiner Bewegungen.
»Unser Zimmer liegt direkt neben dem von Penzler«, sagte Desirée. »Toms Zimmer wollte ich sagen. Die Wände sind dünn. Wir hörten einen schrecklichen, dumpfen Schlag und ein schwaches Stöhnen. Wir sind sofort hinübergegangen und haben an Penzlers Tür geklopft. Keine Antwort. Ich blieb und wartete im Korridor, während Tom die Polizei der Lunies rief.«
»Ich rief zuerst bei der Polizei an und dann bei Marion Shaeffer«, berichtete Tom. »Sie ist ebenfalls Belterin. Die Abgesandte der Goldhäute. Sie tauchte als erste auf, dann die Polizei, und sie öffneten mit einem Stimmbefehl die Tür. Penzler lag mit dem Gesicht nach oben in seiner Badewanne. Er hatte ein großes Loch in der Brust, aber er lebte noch, als die Polizisten uns hinauswarfen.«
»Meine Schuld«, sagte Desirée. »Ich habe ein paar Fotos geschossen.«
Inzwischen war ich angekleidet und hatte die Haare gekämmt. »Ich bin gleich da. Chiron, Gespräch beenden.«
Penzlers Tür war verschlossen. »Sie haben meine Kamera beschlagnahmt«, sagte Desirée. »Können Sie dafür sorgen, daß man sie mir zurückgibt?«
»Ich kann es versuchen.« Ich betätigte den Summer.
»Und die Fotos?«
»Ich kann es versuchen.«
Marion Shaeffer war in Uniform. Sie war von meiner Größe, muskulös, mit breiten Schultern und schweren Brüsten. Ihre Vorfahren waren wahrscheinlich starke Bauersfrauen gewesen. Die tiefe Bräune endete abrupt am Hals. »Kommen Sie herein, Hamilton, aber stehen Sie uns nicht im Weg rum. Schließlich sind Sie hier nicht zuständig.«
»Genauso wenig wie Sie.«
»Er ist einer von meinen Leuten.«
Chris Penzlers Zimmer sah aus wie mein eigenes. Es wirkte eng. Drei der sechs Anwesenden waren Lunies, und das war der entscheidende Unterschied. Zu viele Ellbogen, die in meinen persönlichen Freiraum eindrangen. Einer der Lunies war ein Rotschopf, ein sommersprossiger Polizeibeamter in Orange mit schwarzen Markierungen. Er untersuchte das Telefon. Ein blonder Bursche in einem formlosen Pyjama stand dabei und sah den Arbeiten zu. Es war Bürgermeister Hove Watson persönlich.
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