Ringwelt 06: Flatlander
meldete sich zu Wort. Sie wollte wissen, ob die lunaren Kliniken genauso viel Transplantationsmaterial verschifften, wie ihnen von den Gerichten des Belt überstellt wurde.
Ward erwiderte ein wenig hochnäsig, daß Beltertransplantate in der Regel nicht die richtige Form und Größe für einen Lunie besäßen, und daß beispielsweise Arm- oder Beinknochen ein ganzes Stück zu kurz für einen Lunie wären. Das war zwar offensichtlich, aber nicht das, worauf Marion hinausgewollt hatte. Sie wollte wissen, wie viel Beltermaterial der Mond zur Erde verschiffte. Eine ganze Menge.
Die Konferenz begann sich zu polarisieren. Belter auf der einen und Flatlander auf der anderen Seite und Lunies mittendrin. Für die gebrechliche, alte Hildegard Quifting war unsere Vorgehensweise zur Lösung des Organbank-Problems ungeheuerlich: Todesstrafen, die fast bei jeder Bagatelle ausgesprochen wurden, um die Wähler am Leben und gesund zu erhalten. Für Jabez Stone von der Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte ein Verbrecher Glück, daß er seine Tat auf irgendeine Weise wieder gutmachen könne, und die Belter sollten gefälligst die verdammten Köpfe nicht so hoch tragen. Wenn ein Mann ein Steak bestelle, müsse schließlich zuerst ein Stier geschlachtet und zerlegt werden. Wie vielen Transplantaten verdanke die Quifting, daß sie immer noch wohlauf und munter war?
Carmody wies die Feststellung als außerhalb der Tagesordnung ab, doch die Quifting bestand trotzdem darauf, sie zu beantworten. Sie habe in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Transplantat besessen, sagte sie kampflustig. Ich bemerkte Unbehagen unter den restlichen Delegierten. Vielleicht bemerkten sie meines ebenfalls.
Es war eine lange Sitzung. Das Abendessen und die damit verbundene Unterbrechung waren mehr als willkommen.
Ich ließ mich neben Chris Penzlers leise zischendem Luftkissenstuhl nieder. »Sie haben nicht besonders viel gesagt. Sind Sie fit genug für diese Sitzung?«
»Oh, selbstverständlich.« Er lächelte schwach und wurde augenblicklich wieder ernst. »Ich fühle mich sterblich«, gestand er. »Es kann einen Mann wirklich nachdenklich machen, wenn man ihm ein Loch durch die Brust schießt. Ich hätte sterben können. Ich habe eine Tochter. Ich hatte nie genug Zeit für mehr Kinder; ich war immer viel zu sehr damit beschäftigt, noch mehr Geld zu machen, Karriere zu machen, und dann … dann gab es eine Sonneneruption, während ich unterwegs war zum Merkur … und heute bin ich steril. Wenn ich sterbe, ist sie alles, was von mir bleibt. Fast alles jedenfalls.«
»Die Lebensqualität der Nachkommen ist genauso wichtig wie ihre Anzahl«, sagte ich.
Banal, aber er nickte trotzdem gedankenvoll. Dann sagte er: »Irgendjemand haßt mich genug, um meinen Tod zu wollen.«
»Vielleicht Naomi Mitchison?«
Er runzelte die Stirn. »Sie hat keinen Grund dazu. Oh, sie ist eine merkwürdige Person, sicher, und sie mag mich nicht, aber … ich wünschte, ich wüßte es. Ich bete zu Gott, daß sie es war.«
Natürlich. Falls Naomi unschuldig war, lauerte der Mörder noch immer irgendwo.
»Haben Sie in Ihrem Zimmer Hologramme aufgehängt?« fragte ich. »Oder kleine Statuen aufgestellt?«
Er starrte mich verwundert an. »Nein. Warum?«
»Futz. Funktioniert Ihr Telefon einwandfrei?«
»Sicher. Es funktioniert tadellos. Warum stellen Sie diese Fragen?«
»Nur so ein Gedanke. Chris, Sie haben ausgesagt, Sie hätten durch das Fenster an einem großen schiefen Felsen vorbeigeblickt und jemanden gesehen. Auf welcher Seite des Felsens?«
»Ich kann mich nicht erinnern.« Er dachte nach. »Das ist wirklich sehr merkwürdig! Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern!« Er hob den Kopf und brüllte: »Bürgermeister Hove!«
Hove kam soeben am Ende des Saales eine Wendeltreppe hinauf. Er drehte sich verblüfft um. »Hallo Chris! Wie verläuft die Konferenz?«
»Es gibt da ein paar Reibungspunkte …« setzte ich zu einer Antwort an, doch Penzler unterbrach mich.
»Könnten Sie uns in Ihr Büro führen?«
»Natürlich. Warum denn?«
»Ich würde gerne einen Blick aus Ihrem Fenster werfen.« Er schien sich mit einem Mal in einem Zustand fieberhafter Aufregung zu befinden.
Der Bürgermeister zuckte die Schultern und führte uns zu seinem Büro.
Es war ein großes, geräumiges Dienstzimmer. Das Computerterminal auf dem Schreibtisch war mit zwei Bildschirmen ausgestattet und darüber hinaus mit der Hologrammwand verbunden. Eine zweite
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