Ringwelt 06: Flatlander
gezahlt worden war.« Er funkelte mich an. »Und nein, ich bin ganz gewiß nicht stolz auf Anubis. Ich bin nur beeindruckt, daß er offensichtlich niemals einen Fehler begeht. Außerdem sind seine Opfer früher immer verschwunden.«
»Mmm-hm.«
»Dann ist die gesamte Bande untergetaucht, ungefähr zum Zeitpunkt dieser letzten Entführung. Wir nehmen an, sie benötigten Geld, um sich eine Tarnung zuzulegen.«
»Wie viel haben sie bekommen?«
»Für die Chambers-Kinder? Hunderttausend.«
»Sie hätten das Zehnfache bekommen, wenn sie Transplantate aus ihnen gemacht hätten. Die Bande scheint wirklich anstrengende Zeiten hinter sich gehabt zu haben.«
»Das wissen Sie doch. Niemand hat mehr gekauft. Aber was hat das alles damit zu tun, daß man auf Sie geschossen hat?«
»Nur eine wilde Idee, bis jetzt jedenfalls. Könnte es sein, daß Anubis wieder hinter den Chambers-Kindern her ist?«
Bera bedachte mich mit einem eigenartigen Blick. »Ganz bestimmt nicht. Wozu sollte das gut sein? Sie haben die Chambers beim ersten Mal ausbluten lassen. Hunderttausend Kredits sind nicht gerade wenig.«
Nachdem Bera gegangen war, saß ich noch immer an meinem Schreibtisch. Ich war nicht überzeugt. Anubis war verschwunden. Loren hatte keinen Augenblick gezögert, das Gebiet seines ehemaligen Konkurrenten zu übernehmen. Wohin waren Anubis und seine Leute verschwunden? Etwa in Lorens Organbänke?
Und was war dann mit Tiller/Lincoln?
Mir gefiel die Vorstellung nicht im geringsten, daß irgendein dahergelaufener Ex-Organpascher in dem Augenblick, da er mich sah, den Entschluß fassen konnte, mich zu töten. Schließlich setzte ich mich selbst an die Tastatur meines Computers und brachte die Daten über die Chambers-Entführung auf den Schirm.
Ich fand nicht viel, das ich nicht bereits von Bera erfahren hatte. Allerdings wunderte ich mich, daß er mir Charlottes Zustand verschwiegen hatte.
Als damals die Beamten der ARM die Chambers-Kinder vollgepumpt mit Drogen auf dem Dachparkplatz eines Hotels fanden, waren beide in körperlich bester Verfassung gewesen. Holden war ein wenig verängstigt, ein wenig erleichtert und zeigte gerade erste Anzeichen von Wut. Doch Charlotte hatte einen schweren Schock erlitten und war in Katatonie verfallen. Dem letzten Akteneintrag zufolge änderte sich an diesem Zustand bis zuletzt nichts. Sie hatte seit der Entführung keinen einzigen zusammenhängenden Satz mehr gesprochen.
Irgendetwas hatten sie mit ihr getan. Etwas Schreckliches. Vielleicht hatte Bera mit der Zeit gelernt, den Gedanken zu verdrängen, und deswegen kein Wort darüber verloren.
Ansonsten hatten sich die Kidnapper fast wie Ehrenmänner verhalten. Das Lösegeld war gezahlt worden, und sie hatten die Opfer freigelassen. Die Chambers-Kinder hatten weniger als zwanzig Minuten auf dem Dach gelegen. Sie waren zwar narkotisiert gewesen, doch sie hatten keinerlei Anzeichen körperlicher Mißhandlung gezeigt … ein weiterer Hinweis darauf, daß die Kidnapper ehemalige Organpascher waren. Organpascher sind keine Sadisten. Dazu ist ihre Ware zu wertvoll.
Mir fiel auf, daß das Lösegeld durch einen Bevollmächtigten ausgezahlt worden war. Die Chambers-Kinder waren Waisen, und wären sie bei der Entführung getötet worden, hätte der Verwalter des elterlichen Vermögens seinen Job verloren … Von diesem Standpunkt aus betrachtet machte es Sinn, daß sie beide entführt worden waren – überzeugt war ich trotzdem nicht.
Und es gab kein Motiv, die beiden neuerlich zu entführen. Sie hatten kein Geld mehr. Es sei denn …
Der Gedanke traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Das zweite Freezergesetz!
Holden Chambers Nummer ermittelte ich in der Datenbank des Zentralcomputers. Ich war dabei, die Ziffern zu wählen, als mir Zweifel kamen und ich den Verbindungsaufbau abbrach. Statt dessen rief ich unten in der Überwachungsabteilung an und betraute ein Team von Technikern damit herauszufinden, ob Chambers’ Telefon oder seine Wohnung möglicherweise verwanzt waren. Sie sollten die Wanzen weder unschädlich machen noch eventuelle Lauscher alarmieren. Eine reine Routineangelegenheit.
Die Chambers-Kinder waren schon einmal entführt worden. Wenn wir Pech hatten, würden sie ein zweites Mal verschwinden. Manchmal war die Arbeit bei der ARM damit zu vergleichen, als wolle man ein Loch in Treibsand buddeln. Solange man schnell genug schaufelte, erzeugte man eine merkliche Vertiefung, doch wehe, man hörte auch nur einen Augenblick
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