Ringwelt 06: Flatlander
Raumschiffsantrieb, wie? Diese blau schimmernde Monstrosität sah mir eher nach einer Zeitmaschine aus, die aus dem Ruder gelaufen war.
Ich musterte den einzelnen Schalter, der unmittelbar neben den Batterien an den Plastikrahmen geschweißt war. Ein Stück Nylonfaden baumelte an dem horizontalen Hebel. Es sah aus, als hätte jemand die Apparatur von außerhalb des Feldes aktiviert, indem er an der Leine gezogen hatte … doch er würde von der Decke herabreichen müssen, um sie auf diese Weise wieder abzuschalten.
»Ich verstehe, warum Sie dieses Ding nicht zu uns ins Hauptquartier schicken konnten. Man kann es nicht einmal berühren. Sobald man mit dem Arm oder dem Kopf in das Feld kommt, wird die Blutzufuhr für zehn Minuten oder so unterbrochen.«
»Ganz genau«, sagte Ordaz.
»Sieht aus, als könnte man mit einem Stock in das Feld reichen und diesen Hebel umlegen.«
»Vielleicht. Genau das hatten wir vor.« Er winkte dem Mann mit der Hochseeangel. »In dieser Wohnung gab es nichts, das lang genug gewesen wäre, um den Schalter zu erreichen. Wir mußten erst …«
»Halt, warten Sie. Es gibt da ein Problem.«
Er sah mich erstaunt an, ebenso wie der Beamte mit der Angel.
»Dieser Schalter könnte einen Selbstzerstörungsmechanismus auslösen. Sinclair war nach allem, was ich weiß, ein geheimnistuerischer Bastard. Vielleicht enthält das Feld aber auch beträchtliche potentielle Energien. Irgendetwas könnte in die Luft fliegen.«
Ordaz seufzte. »Das müssen wir riskieren. Gil, wir haben die Geschwindigkeit gemessen, mit der die Uhr des Toten geht. Eine Stunde in sieben Sekunden. Fingerabdrücke, Fußabdrücke, Rückstände aus einer Wäscherei an der Kleidung, Körpergeruch, ausgerissene Wimpern, Haare … das alles altert alle sieben Sekunden um eine ganze Stunde, bis es sich völlig aufgelöst hat.« Er gestikulierte, und der Beamte mit der Angel trat vor und versuchte, den Schalter umzulegen.
»Vielleicht ist es ohnehin längst zu spät, um herauszufinden, wann genau der Mann gestorben ist«, sagte Ordaz.
Die Spitze der Angel zitterte in unruhigen Kreisbewegungen, beruhigte sich dann unterhalb des Hebels und berührte ihn schließlich. Ich hielt den Atem an. Die Angel bog sich durch. Der Hebel schnappte mit einem Klicken nach oben, und plötzlich war der violette Schimmer verschwunden. Valpredo streckte den Arm in das Feld, vorsichtig, als sei die Luft glühend heiß … und als nichts geschah, entspannte er sich.
Ordaz machte sich daran, Befehle zu erteilen, und plötzlich herrschte hektische Betriebsamkeit. Zwei Männer in Laborkitteln zogen Kreidelinien um die Mumie und den Schürhaken. Dann legten sie den Toten auf eine Tragbahre, steckten das Eisen in einen Plastiksack und legten es neben die Mumie.
»Haben Sie sie bereits identifiziert?« fragte ich.
»Ich fürchte ja«, antwortete Ordaz. »Raymond Sinclair besaß einen eigenen Autodoc …«
»Tatsächlich? Diese Dinger sind sehr teuer!«
»Ja. Raymond Sinclair war ein wohlhabender Mann. Er besaß die beiden oberen Stockwerke dieses Gebäudes und den Dachgarten. Nach den Aufzeichnungen in seinem Autodoc hat er sich erst vor zwei Monaten neue nachwachsende Zähne einsetzen lassen.« Ordaz deutete auf die Mumie, auf die vertrockneten, zurückgezogenen Lippen, und ich sah die Spitzen neuer Zähne, die gerade erst den Kiefer durchstoßen hatten.
Kein Zweifel. Der Tote war Sinclair.
Dieses Gehirn hatte Wunder geschaffen, und irgendjemand hatte es mit einem schmiedeeisernen Feuerhaken zerschmettert. Der interstellare Antrieb … handelte es sich dabei vielleicht um diese schimmernde Goldberg-Apparatur? Oder existierte der Antrieb noch immer nur im Kopf des Toten?
»Wir müssen den Täter fassen«, sagte ich, »ganz gleich, wer es war. Wir müssen. Und trotzdem …« Und trotzdem. Dieses Gehirn würde niemals mehr Wunder schaffen.
»Vielleicht wissen wir bereits, wer es war«, entgegnete Julio.
Ich starrte ihn an.
»Im Autodoc liegt ein Mädchen. Wir glauben, daß es sich um Doktor Sinclairs Großnichte handelt. Janice Sinclair.«
Es war ein Standardmodell, wie man es in jeder Apotheke fand. Ein riesiger, sargähnlicher Kasten mit fußdicken Wänden und einem Armaturenbrett über dem Kopf, das mit Schaltern und roten und grünen Kontrolleuchten übersät war. Das Gesicht des Mädchens wirkte entspannt, und es atmete ruhig und gleichmäßig. Dornröschen. Ihre Arme steckten tief in den Eingeweiden der Maschine, verborgen unter dicken
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