Ringwelt 06: Flatlander
Polizeigeschwindigkeit. Der Wagen wurde selbstverständlich vom Autopiloten gesteuert, doch wir konnten jederzeit manuell eingreifen. Valpredo blickte hinaus auf die vorbeiziehende Szenerie und redete, ohne mich dabei anzusehen.
»Wissen Sie was? Ich glaube, Sie und der Inspektor suchen nicht nach der gleichen Sache.«
»Stimmt. Ich suche nach einem hypothetischen Mörder. Julio sucht nach einem hypothetischen Besucher. Könnte sich als schwer herausstellen zu beweisen, daß es keinen gab, doch falls Porter und das Mädchen die Wahrheit sagen, kann Julio vielleicht beweisen, daß der Besucher nicht der Täter war.«
»Womit nur das Mädchen übrig bliebe«, sagte er.
»Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?«
»Auf der Seite der Wahrheit. Ich habe nichts außer brennenden Fragen.« Er blickte mich von der Seite her an. »Sie scheinen ziemlich sicher zu sein, daß das Mädchen es nicht getan hat.«
»Jepp.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Ein Gefühl. Vielleicht, weil ich ihr nicht den nötigen Verstand zutraue. Es war kein einfacher Mord, wissen Sie?«
»Sie ist immerhin Sinclairs Nichte. Sie kann nicht vollkommen dumm sein.«
»Vererbung funktioniert anders. Aber vielleicht mache ich mir selbst etwas vor. Vielleicht liegt es an ihrem Arm. Sie hat ihren Arm verloren, und sie hat eine ganze Menge Probleme deswegen.« Ich nahm das Telefon zur Hand und vertiefte mich in die Datenbanken des ARM-Computers.
PAULINE URTHIEL. Geboren als Paul Urthiel. Doktor der Naturwissenschaften, promoviert in Plasmaphysik an der University of California in Irvine. Geschlechts- und Namensumwandlung im Jahr 2111. Vor sechs Jahren war sie für ihre Arbeiten über den Effekt der Ladungsunterdrückung bei Slaver-Desintegratoren für den Nobelpreis nominiert worden. Verheiratet mit Lawrence Muhammad Icks seit 2117. Sie hatte ihren Mädchennamen (sozusagen) behalten. Getrennte Wohnungen. Größe: Fünf Fuß neun. Gewicht: 130 Pfund.
BERNARTH PETERFI. Doktor der Physik am MIT; subatomare Teilchen und verwandte Gebiete. Diabetiker. Größe: Fünf Fuß acht. Gewicht: 140 Pfund. 2119 Antrag auf Befreiung von den Vorschriften der Fortpflanzungsregelung; abgelehnt. Verheiratet 2118 bis 2122. Peterfi lebte seit der Scheidung allein.
LAWRENCE MUHAMMAD ICKS. Diplom in Physik. Größe: Sechs Fuß eins. Gewicht: 180 Pfund. Linker Arm ist eine Prothese. Vizepräsident des KET (Komitee für die Beendigung der Transplantationspraxis).
»Eigenartig, wie immer wieder ein menschlicher Arm in dieser Geschichte auftaucht«, sagte Valpredo.
Einschließlich eines ARMs, der eigentlich nicht dorthin gehörte. »Icks besitzt ein Diplom. Vielleicht hätte er behaupten können, der Generator stamme von ihm. Oder vielleicht dachte er, daß er es behaupten könnte.«
»Er hat erst gar nicht versucht, uns aufs Glatteis zu führen!«
»Angenommen, er hat die Sache gestern Nacht vermasselt? Er wird nicht wollen, daß die Erfindung für die Menschheit verloren ist, oder?«
»Wie ist er geflohen?«
Ich wußte keine Antwort.
Icks lebte in einem Wolkenkratzer, der fast eine Meile hoch war und sich nach oben hin verjüngte. Früher einmal war Lindtstetters Nadel sicher das höchste Bauwerk der Welt gewesen … bevor man angefangen hatte, die Arcologies zu errichten. Wir landeten in einer Höhe von einer Drittel Meile auf einem freien Platz und fuhren von dort aus zehn Stockwerke mit dem Expreßlift nach unten.
Icks war bekleidet, als er unser Klingeln beantwortete. Er trug grellgelbe weite Hosen und ein Netzhemd. Seine Hautfarbe war sehr dunkel, und das schwarze dicke Kraushaar war von grauen Strähnen durchsetzt. Am Bildschirm hatte ich nicht sagen können, welcher der echte Arm war und welcher die Prothese, und die Unterscheidung gelang mir auch jetzt nicht. Er bat uns hinein und nahm Platz, während er auf unsere Fragen wartete.
Wo er in der vergangenen Nacht gewesen sei? Ob er ein Alibi vorweisen könne? Damit würde er uns ein gutes Stück weiterhelfen.
»Tut mir leid, kein Alibi. Ich habe die ganze Nacht an einem sehr komplizierten Fall gesessen. Ich würde Sie mit den Einzelheiten wahrscheinlich nur langweilen.«
Ich sagte ihm, daß sie mich trotzdem interessierten. »Edward Sinclair hat damit zu tun … das ist Ray Sinclairs Großneffe. Er ist in den Belt ausgewandert, und er hat eine Drehkonstruktion für einen Raketenmotor entworfen, die auch für die Erde interessant wäre. Das Problem ist, daß sich seine Konstruktion nicht besonders stark vom
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