Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
darauf zu erkennen waren, fiel mehr ins Auge als alle anderen: Sie war als Einzige in mehreren Farben gehalten und ganz offensichtlich diejenige, die zu sticken am meisten Arbeit gemacht haben musste. Kleine Iris, großes Gänseblümchen. Mochte vielleicht die Größe der Darstellung zugleich die Wichtigkeit der jeweiligen Ziffer angeben? »Jeeves, lass noch einmal das letzte Programmfragment ablaufen, das wir gefunden haben, unter den gleichen Isolationsbedingungen. Und in das Textfeld gibst du ›8 3 21 13‹ ein.«
Eine Trompetenfanfare erklang. Dann erschien das Hologramm eines Menschen, anscheinend in einer Kabine dieses Schiffes aufgezeichnet. Nein, dachte Kirsten, das ist dieses Schiff. Das Stickbild, das sie von der Long Pass mitgenommen hatte, hing dort noch hinter der dreidimensionalen Erscheinung an der Wand. Svens Kiefer klappte herab. Omar erstarrte.
Der Mann in dem Holo hatte auffallend dunkle Augen, dunkles Haar und auch dunkle Haut. Sein Gesicht, dessen Alter sich unmöglich abschätzen ließ, war von zahllosen Sorgenfalten durchzogen. Sein eng sitzender Overall, den ein sonderbares Karomuster zierte, war nicht dazu angetan, seine doch recht fülligen Körpermaße zu verschleiern. Seine Augen wirkten welterfahren, aber dabei erschöpft, und doch blitzte in seinem Blick immer noch ein Funken Humor. Unwillkürlich ging Kirsten der Gedanke durch den Kopf: Diesen Mann hätte ich gerne kennen gelernt.
Dann ergriff der Fremde das Wort: »Ich bin der Navigator des Raumschiffs Long Pass. Und ich habe eine Geschichte zu erzählen. Mein Name ist Diego MacMillan.«
KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG
Nike materialisierte in einem murmelnden Strom von Mitbürgern, der sich durch eine aufs Geratewohl ausgewählte Freiluft-Einkaufsstraße drängte. Vesta mühte sich, mit dem Vizeminister Schritt zu halten. Die Sonnenlicht-Paneele der umstehenden Arcologys umstrahlten sie. Ein Springbrunnen, der ansonsten dank der dichten Menge nicht zu erkennen war, sprühte kräftige Wasserstrahlen zum Himmel; kühlend fielen winzige Tröpfchen auf Nikes Haut. Der Duft der Herde hüllte ihn ein.
»Euer Exzellenz«, keuchte Vesta. »Bitte warten Sie!«
Der arme Vesta konnte unmöglich begreifen, wie vergänglich dieser Augenblick war. Schon bald würde es keinerlei Gelegenheit mehr geben, sich einfach in der Menge des Volkes zu verlieren – zumindest nicht für Nike.
Stimmen trällerten und sangen, säuselten und blökten. Das wichtigste Gesprächsthema des Tages – heute wie an jedem anderen Tag seit der Ankündigung – war die bevorstehende Einheitsregierung. Die Harmonien: Akzeptanz, Vertrauen, Einverständnis. Jeden Tag wurden die Dissonanzen weniger: Zweifel, Furcht, Resignation.
Experimentalismus war veraltet. Heiterkeit und Fatalismus. Aufstrebender Konsens.
»Exzellenz«, schnaufte Vesta. »Diese neue Regierung wird tatsächlich gebildet werden. Diese Harmonien lassen sich nicht leugnen. Zustimmung zeichnet sich ab.« In seiner Stimme schwangen zittrige Untertöne mit, die – ohne eine Antwort zu erwarten – fragten: Warum?
»Machen Sie sich keine Sorgen.« Nikes Untertöne verrieten unendliche Zuversicht. »Dieses Bündnis kann nicht lange währen. Wir leben nicht am Ende der Geschichte.«
Denn ich werde hier Geschichte schreiben.
Die Kolonisten-Rebellen mussten selbstgefällig geworden sein, die Preserver mit den Bürgern zu teilen. Wachen des Geheimen Direktorats, denen Nike unbegrenzt vertraute, hatten Stellung an Bord der Preserver bezogen – verkleidet als Techniker. Sämtliche Roboter waren wieder aufgetankt. Passenderweise waren es genau die gleichen Roboter, die seinerzeit den Ramjet übernommen hatten – jenen Ramjet, den einst die Wildmenschen von Sol gebaut hatten.
Endlich hatte Vesta ihn eingeholt. Fragend senkte er die Stimme: »Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Geduld, mein Freund.« Nike trat einen Schritt zur Seite, um die Flanken seiner Mitbürger zu spüren. »Alles wird gut.«
Vor Nikes geistigem Auge zeichnete sich das Bild immer klarer ab. Alle vier Kolonisten würden an Bord der Preserver gefangen genommen werden. Die Explorer, die längsseits der Preserver angedockt war, blieb weiterhin harmlos, selbst wenn die Gefangenen sich weigerten, die Stepperscheiben-Codes preiszugeben, mit denen es ihnen gelungen war, das Schiff in ihre Kontrolle zu bringen. Lautstarke, aber letztendlich hilflose Proteste der führenden Kolonisten von Arcadia. Sollten die Kolonisten doch über
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