Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
irgendjemandem bemerkt würden. Warum sollte er jetzt noch eigens einen Neutrino-Impuls absetzen?
Rechnete er etwa damit, hier eine Stasis-Box vorzufinden?
Er blickte sich selbst in die Augen, zugleich entsetzt und belustigt über diesen Lapsus, den er sich da beinahe geleistet hatte. Es hätte wohl noch schlimmer kommen können. Er hätte auch völlig verwirrt sein können, schließlich hatte sich Kirsten immer gefragt, warum sie darauf gedrillt wurde, bei jedem Eintritt in ein neues Sternensystem ein Tiefenradar-Ping abzusetzen.
Nessus stimmte ein Lied an, als er mit vollem Schub der Thruster die Geschwindigkeit des rasenden Schiffes immer weiter verminderte. Der Walkürenritt, in voller Orchestrierung. Aus irgendeinem Grund erschien ihm diese Musik sehr passend. Sogar in doppelter Hinsicht, schließlich hatte seine einstige Mannschaft einmal einer Aufführung dieses Stückes beigewohnt.
Natürlich waren Kirsten die fonetischen Ähnlichkeiten zwischen der englischen und der deutschen Sprache sofort aufgefallen. Reiner Zufall, hatte Nessus ihr seinerzeit erklärt. Auf eine weitere Lüge mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an.
Ob sie pflichtbewusst auch die Region rings um das aktuelle Ziel der Explorer mit Tiefenradar abgesucht hatte – und sich wieder einmal gefragt hatte, welchen Sinn dieses Vorgehen wohl habe?
Wenn sie nur wüsste!
Vor Äonen hatte es einen Krieg gegeben, der eine galaxisweite Auslöschung zur Folge hatte und von dem nichts geblieben war außer einigen verstreuten Artefakten, die in Stasisfeldern für alle Zeiten bewahrt wurden. Als man diese Objekte vorübergehend aus der Stasis herausgeholt hatte, ließen sie sich nicht einmal ansatzweise verstehen. Sie alle jedoch verkörperten eine Technologie furcheinflößender Macht. Die vorherrschende Meinung lautete, es handle sich um Waffenlager.
Es gab nur eine Sache, die noch erschreckender war, als eine Stasisbox zu finden und zu öffnen, und das war: sie zurückzulassen, sodass eine andere Spezies sie finden würde.
Stasisfelder waren für Neutrinoimpulse undurchlässig. Nur zerfallende Materie, etwa die kollabierte Masse eines Sterns, besaß die gleiche Eigenschaft. Ein Stasisfeld ließ sich einfach nicht verfehlen – also war es völlig töricht, in einer derart häufig bereisten Region wie dem Solsystem nach einer Stasisbox überhaupt Ausschau zu halten.
Während Nessus’ Gesang sich in ein Crescendo steigerte und er diese manische Freude genoss, solange sie eben währte, fragte er sich unweigerlich doch, wie wohl Omar, Eric und Kirsten mit ihrer Mission zurechtkamen.
Glitzernd war eine Wasserwelt durch die Sichtfenster der Explorer zu erkennen. Abgesehen von den Kuppen einiger weniger Vulkankegel unterbrach nur eine einzige Landmasse in Äquatornähe diesen Ozean, der einen ganzen Planeten bedeckte. Die Küstenregionen dieses Kontinents leuchteten grün, die Hochplateaus im Landesinneren wirkten ausgedörrt bräunlich. Als Reaktion auf einen früheren Bericht hatte Nike diesem Planeten den Namen ›Oceanus‹ gegeben – und darauf hatte sich seine aktive Teilnahme an dieser Mission auch beschränkt.
In den Meeren und dem Dschungel dort unten wimmelte es vor Lebensformen. Hätte Kirsten sich nicht immer wieder zusammengenommen, hätte sie bei jeder einzelnen ihrer Wachen stundenlang dorthinab gestarrt. Trotz zahlloser Unterschiede erinnerte Oceanus sie an NSW 4. Sie vermisste ihr Zuhause.
»Sieht nett aus da unten.« Eric saß im Gemeinschaftsraum auf dem Deck, umringt von zahllosen Bauteilen, die er noch für den Einbau in einen weiteren Fernerkundungs-Satelliten konfigurieren musste. Seit dieser Expedition zum Institut für Menschenforschung, die beinahe in einer Katastrophe geendet wäre, hatte er wieder zu seiner alten, deutlich gesünderen Gesichtsfarbe zurückgefunden, doch so recht belastbar war er immer noch nicht. »Zumindest, wenn man damit leben kann, dass da unten die Käfer die obersten Plätze der Nahrungskette einnehmen.«
»Und hier gibt es nichts, was man mit den Gw’oth vergleichen könnte«, fügte Kirsten hinzu.
»Nicht einmal ansatzweise.« Als Eric ein winziges Bauteil entglitt und quer durch den Raum schoss, murmelte er irgendetwas darüber, dass seine Finger einfach zu dick und zu unbeweglich seien.
Doch statt ihm die Hilfe ihrer deutlich feingliedrigeren Finger anzubieten, stellte Kirsten nur eine Frage: »Warum machst du dir überhaupt die Mühe, noch mehr Sonden zu bauen? Da unten
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