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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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erwiderte er. Darauf konnte er verzichten. Simone wußte, daß Tom log.
    »Pardon, daß ich gerade die Unwahrheit gesagt habe. Sie können das ja alles auf mich schieben. Tiefer kann ich wohl nicht mehr sinken, jedenfalls nicht in den Augen Ihrer Frau.« Was Tom in diesem Moment völlig egal war; er hatte weder Zeit noch Lust, mit Simone zu leiden. Jonathan schwieg. »Gehen wir hinunter, und schauen wir nach, was die Küche zu bieten hat.«
    Tom zog die Vorhänge in seinem Zimmer nicht ganz zu, so daß man hinausspähen konnte, ohne sie anzufassen. Genauso verfuhr er in Héloïse’ Zimmer und unten im Wohnzimmer. Madame Annettes Zimmer betrat er nicht. Ihre Fenster gingen auf den Waldweg und den Rasen hinter dem Haus.
    Vom gestrigen Abend war noch mehr als genug ihres köstlichen Ragouts übrig. Das Fenster über der Spüle in der Küche hatte keine Vorhänge, deshalb setzte Tom Jonathan so an den Küchentisch, daß er durchs Fenster nicht zu sehen war, und gab ihm einen Scotch mit Soda.
    »Schade, daß wir heute nachmittag nicht im Garten [278]  arbeiten können«, sagte Tom, der den Salat in der Spüle wusch. Zwanghaft sah er jedesmal auf, wenn ein Auto vorbeifuhr. In den letzten zehn Minuten war das allerdings nur zweimal vorgekommen.
    Jonathan war nicht entgangen, daß beide Garagentore weit offen standen. Tom hatte seinen Wagen auf dem Kies vor dem Haus geparkt. Es war so still, daß man jeden Schritt auf den Steinen hören würde.
    »Und nicht mal Musik kann ich anstellen, das könnte andere Geräusche übertönen. Wie langweilig«, sagte Tom.
    Beide aßen nicht viel, blieben aber lange am Tisch in der Eßecke sitzen, die vom Wohnzimmer abging. Tom kochte Kaffee. Da zum Abendessen nicht mehr viel im Haus war, rief er beim Metzger von Villeperce an und bestellte ein anständiges Steak für zwei.
    »Madame Annette? Oh, sie macht ein paar Tage Urlaub«, antwortete er auf die Frage des Metzgers. Die Ripleys waren so gute Kunden, daß Tom den Mann bedenkenlos bitten konnte, bei dem Obst- und Gemüsehändler nebenan vorbeizugehen und einen Kopfsalat sowie frisches Gemüse mitzubringen.
    Eine halbe Stunde später kündigte das unüberhörbare Knirschen von Autoreifen auf Kies den Lieferwagen des Metzgers an. Tom sprang auf, ging hinaus, bezahlte den gutgelaunten Lehrling mit der blutbespritzten Schürze und gab ihm ein Trinkgeld. Jonathan blätterte gerade Bücher über Möbel durch und schien ganz zufrieden, also ging Tom nach oben in sein Atelier, das Madame Annette niemals betrat, und räumte ein bißchen auf.
    Kurz vor fünf gellte das Telefon wie ein Schrei durch die [279]  Stille. Tom hörte das Schrillen nur gedämpft, hatte er doch gewagt, in den Garten zu gehen und mit der Heckenschere herumzuschnippeln. Er stürzte ins Haus, obwohl er wußte, daß Jonathan den Apparat niemals anrühren würde. Sein Gast saß immer noch auf dem Sofa, von Büchern umgeben.
    Es war Héloïse. Sie war überglücklich, denn sie hatte Noëlle angerufen: Jules Grifaud, ein Innenarchitekt und Freund von Noëlle, hatte gerade ein Chalet in der Schweiz gekauft und Noëlle und sie eingeladen, mit ihm dorthin zu fahren und ihm eine Woche lang Gesellschaft zu leisten, während er das Haus einrichtete.
    »Die Landschaft dort ist so schön«, sagte sie. »Außerdem können wir ihm helfen…«
    Für Tom klang es todlangweilig, aber Héloïse war begeistert, und nur das zählte. Daß sie nicht wie ein gewöhnlicher Tourist auf Kreuzfahrt in der Adria gehen wollte, überraschte ihn nicht.
    »Geht es dir gut, chéri ? Was machst du?«
    »Ach, ich arbeite ein bißchen im Garten… Ja, alles ist ruhig hier. Sehr ruhig.«

[280]  19
    Gegen halb acht Uhr abends stand Tom am Fenster des Wohnzimmers, als er draußen auf der Straße den dunkelblauen Citroën vorbeirollen sah – derselbe Wagen wie am Morgen, dachte er. Diesmal fuhr er zwar schneller, doch nicht so schnell wie andere Autos, die ein Ziel vor sich hatten. War es wirklich derselbe Wagen? In der Dämmerung täuschten die Farben, verschwammen die Unterschiede zwischen Blau und Grün. Andererseits war es ein Cabrio mit einem schmutzigweißen Schiebedach gewesen, genau wie das Auto am Morgen. Tom warf einen Blick auf das Tor von Belle Ombre: Er hatte es geöffnet, der Metzgerlehrling dagegen hatte es zugezogen. Tom beschloß, das Tor angelehnt zu lassen, geschlossen, aber nicht verschlossen. Die Flügel quietschten leise.
    »Was ist los?« fragte Jonathan. Er trank Kaffee, Tee hatte er

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