Riskante Liebe
da drüben ist noch etwas, was diesen See zu etwas Besonderem macht: Sieh dir den Stamm an. Zuerst dachte ich, es wären zwei Bäume. Jedes Mal, wenn ich hier bin, sehe ich sie an und frage mich, wie lange dieser Baum gebraucht hat, um so groß zu werden.«
Die Eiche wuchs aus einem kurzen Baumstumpf, der sich relativ nahe am Boden teilte. Die beiden Stammteile schlangen sich mehrfach umeinander, um sich weit oben in eine dichtbelaubte Krone zu verzweigen. Drake lächelte mich an.
»Sieht ungewöhnlich aus. Oder besser: Unzertrennlich. So wie wir gerade.«
Ein kurzer, aber heftiger Stich durchfuhr meinen Körper, da mich sein letztes Wort aus meinem Glücksgefühl heraus riss. Er hatte recht. Je länger wir zusammen waren, desto rascher würde der Abschied kommen. Mit ihm zusammen verging die Zeit viel zu schnell. Bald wäre ich wieder allein. Ich würde nie wieder hier herkommen und diesen Baum ansehen können, ohne an ihn, das gemeinsame Schwimmen und seine Worte zu denken.
Er spürte, dass ich mich verkrampft hatte und drückte zärtlich meine Hand.
»Wir haben noch genügend Zeit für uns. Das Schönste kommt erst noch.«
Die Sonnenstrahlen wärmten unsere Körper schnell auf und machten angenehm müde. Drake lag dicht neben mir und hielt meine Hand. Irgendwann fielen mir die Augen zu. Als ich erwachte, saß er vor mir und lächelte mich an.
»Du siehst wunderschön aus, wenn du schläfst.«
Und wieder bemerkte ich seine Fürsorge. Er hatte sich so hingesetzt, dass mein Kopf im Schatten seines Körpers lag. Es war heiß und wir beschlossen, den Rückweg anzutreten und den toten Hasen, den wir liegengelassen hatten, zu suchen.
Als wir Hand in Hand zurückliefen und an die Stelle kamen, wo ich den Hasen geschossen hatte, fanden wir lediglich ein paar ungenießbare Überreste vor. Ich hätte es wissen müssen. Im Wald blieb kein frisches Fleisch lange liegen. Es gab genug hungrige Tiere, für die dieser Hase ein unerwartetes Festmahl dargestellt hatte. Ich tippte auf einen Vielfraß, Marder oder Fuchs. Diese Tiere jagte ich, wenn überhaupt, nur wegen ihrer Felle. Fleischfresser, so wusste ich aus eigener Erfahrung, schmeckten längst nicht so gut wie pflanzenfressende Tiere. Drake machte ein enttäuschtes Gesicht.
» Schade. Ich hatte mich schon auf einen komplett von dir zubereiteten Hasenbraten gefreut.«
Ich lachte ihn aus.
» Glaubst du wirklich, dass es in diesem Wald nur einen einzigen Hasen gibt?«
Dann kam mir ein neuer Gedanke.
»Andererseits: Was hältst du von gebackenen Forellen zum Essen? Die hole ich nachher aus dem Fluss.«
Er legte den Arm um meine Hüfte und zog mich an sich.
»Du überraschst mich immer wieder. Wie willst du sie fangen? Hast du eine Angel?«
Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, wollte dies jedoch nicht zugeben. Um ihn abzulenken und auch, weil ich neugierig war, wollte ich wissen:
»Du hast mir erzählt, ihr arbeitet, bekommt Geld dafür und könnt euch euer Essen kaufen. Was für eine Arbeit machst du eigentlich? Warum bist du mit diesem Hubschrauber unterwegs gewesen?«
»Ich bin Schauspieler und der Flug gehörte zu einer meiner Rollen.«
Natürlich begriff ich nicht, wovon er redete.
Er seufzte.
»Du musst dir das so vorstellen: Es gibt zwei Gruppen von Menschen . Die einen wollen etwas sehen, worüber sie lachen oder weinen können und die anderen spielen ihnen ein Stück vor. Etwas, was nicht wirklich passiert, aber so passiert sein könnte. Das kann etwas Trauriges, etwas Lustiges oder Rührendes sein. Und ein Schauspieler tut so, als wäre er eine der Personen in diesem Stück. Er schlüpft sozusagen in die Haut eines anderen, den es nicht wirklich gibt und macht diesen möglichst überzeugend nach. Er zeigt den Zuschauern, wie er sich verliebt, oder einen geliebten Menschen verliert oder gegen das Böse kämpft. Die meisten von uns sehen sich gerne solche Schauspiele, man sagt auch Theater dazu, an.«
Ich runzelte zweifelnd meine Stirn.
»Ich kann das nicht verstehen. Warum müssen sich die Leute in deiner Heimat mit Dingen, die nicht wirklich passieren, ihre freie Zeit vertreiben? Erlebt ihr selber nicht genug?«
Dann ging mir auf, dass ich abfällig über ihn sprach, wenn ich das, was er tat, kritisierte und ich entschuldigte mich.
»Sei nicht böse. Aber so etwas gibt es bei uns nicht, deshalb steht es mir auch nicht zu, ein Urteil darüber zu fällen. Spielst du sie nur oder siehst du dir auch selbst solche Stücke an?«
Seine Augen
Weitere Kostenlose Bücher