Riskante Nächte
Stattdessen musterte er Louisa ernst und interessiert.
»Was bringt Sie darauf, Victoria Hastings könnte in diese Sache verwickelt sein?«, fragte er tonlos.
»Ich weiß es natürlich nicht mit Gewissheit«, erklärte Louisa eilig. »Es ist nur so eine Vermutung, die sich mir allmählich aufdrängte. Ich wollte Ihnen davon erzählen, als wir heute Nachmittag vom Tee bei Ihren Eltern zum Arden Square zurückgekehrt waren, doch dann kam etwas dazwischen, wie Sie sich erinnern werden.«
Sein Lächeln war ausgesprochen süffisant. »Seien Sie versichert, Louisa, ich erinnere mich an jede Einzelheit jenes ausgesprochen erquicklichen Zwischenfalls.«
Sie errötete, verfolgte aber tapfer ihren Gedanken weiter. »Ich frage mich, ob wir vielleicht der Möglichkeit nachgehen sollten, dass Victoria Hastings noch am Leben ist.«
»Nun gut. Lassen Sie uns Ihre Theorie betrachten. Zuerst einmal – immer angenommen, dass sie am Leben ist –, warum sollte sie Grantley und Thurlow ermorden?«
»Ich weiß es nicht.« Louisa breitete hilflos die behandschuhten Hände aus. »Aber Sie müssen zugeben, sie ist einer der wenigen Menschen, die wussten, wie wichtig die beiden Männer für Hastings waren.«
Anthony schwieg gedankenverloren. Schließlich nickte er. »Fahren Sie fort. Ich höre zu.«
Sie griff in ihren Muff und holte ihr Notizbuch hervor. Sie schlug die Seiten mit der Überschrift »VH« auf und überflog die wenigen Fakten, die sie sich notiert hatte.
»Was mir von Anfang an auffällig erschien, war, dass Victorias Leiche nie geborgen wurde.«
»Das ist bei Ertrunkenen gelegentlich der Fall.«
»Ja, ich weiß, aber Sie müssen zugeben, es lässt die Möglichkeit zu, dass sie überlebt hat.«
»Sie hätte außerordentliches Glück haben müssen, und sie hätte schwimmen können müssen. Frauen erlernen diese Fertigkeit nur sehr selten.«
Louisa sah ihn triumphierend an. »Victoria Hastings konnte schwimmen.«
Anthony betrachtete sie mit wachsender Neugier. »Wie zum Teufel haben Sie das herausgefunden?«
»Emma erzählte es mir. Ich hatte eine lange Unterhaltung mit ihr über Victoria. Emma kann nämlich schwimmen, müssen Sie wissen. Sie hat einmal beiläufig erwähnt, Victoria Hastings wäre die einzige andere Frau in der feinen Gesellschaft, von der sie wüsste, dass sie schwimmen könne.«
»Interessant. Nichtsdestotrotz, selbst wenn Victoria Hastings schwimmen konnte, sollte man doch meinen, das Gewicht ihres Kleides und ihrer Unterwäsche hätten sie zwangsläufig unter Wasser gezogen.«
»Sie gehen davon aus, dass Hastings sie in die Themse warf. Was aber, wenn sie ihren Freitod selbst inszeniert hat?«
Er überlegte. »Was brachte Sie denn auf die Idee?«
Sie musste jetzt sehr vorsichtig vorgehen. Sie konnte ihm schließlich kaum erzählen, dass ihr diese Möglichkeit eingefallen war, weil sie selbst ihren eigenen Tod inszeniert hatte und dazu ausgerechnet von Victoria Hastings’ Selbstmord inspiriert worden war, weil man deren Leiche nicht fand.
Sie wedelte betont gelassen mit der Hand. »Oh, ich vermute, es kommt von all diesen Romanen und Melodramen über verschollene Ehefrauen und Ehemänner, die immer am Ende der Geschichte auftauchen und behaupten, sie wären auf wundersame Weise dem Seemannsgrab oder einer anderen Katastrophe entronnen.«
»Nur um damit dem Pärchen, das sich einer verbotenen Liaison hingab, jegliche Hoffnung auf ein glückliches Ende zu rauben.«
Sie errötete und schaute eilig auf ihre Notizen. »Ja, nun, um fortzufahren: Eine der Personen, mit denen ich gesprochen hatte, bevor ich mich mit Ihnen zusammentat, war Victorias Zofe. Hastings entließ sie, nachdem Victoria verschwunden war.«
»Sie haben die Zofe ausfindig gemacht? Ich bin beeindruckt. Das war sehr einfallsreich von Ihnen.«
»Danke.« Sie zog ihre Notizen zurate. »Ich interessierte mich damals natürlich nur für Dinge, die Mr. Hastings betrafen, aber ich habe mir dennoch einiges notiert, was die Zofe über ihre frühere Herrin sagte.«
»Was hat sie Ihnen erzählt?«
»Der Name der Zofe ist Sally. Nachdem sie ihre Stellung im Hastings’schen Haushalt verloren hatte, wurde sie von Lady Mounthaven eingestellt, die mir erlaubte, mit ihr zu sprechen. Sally erzählte mir, ihre letzte Aufgabe, bevor sie ihre Anstellung bei Hastings verlor, war, Victorias Kleider und persönliche Habseligkeiten zusammenzupacken und an wohltätige Einrichtungen zu geben. Sie erwähnte, dass das einzige Kleidungsstück, das
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