Riskante Naehe
Füße waren inzwischen schon von den Schuhen roh gescheuert, die zahlreichen Prellungen von ihrem gebremsten Fall in die Schlucht schmerzten mit jedem Schritt heftiger, und zu allem Überfluss schwitzte sie auch noch extrem. Sie hatte bereits überlegt, ob sie einfach ihr T-Shirt ausziehen und in Unterwäsche weiterlaufen sollte, aber der Gedanke daran, was passieren würde, wenn ihre Verfolger sie einholten, hielt sie davon ab. Wenn sie schon sterben musste, wollte sie es nicht unbedingt in ihren Dessous tun. Auch wenn diese wirklich wunderschön waren, wie sie selbst zugeben musste.
Wenigstens war sie, seit sie sich auf der Ranch aufhielt, dazu gekommen, ihre Kleidung zu waschen. So musste sie nicht mehr in der billigen Unterwäsche herumlaufen, die sie in dem Supermarkt erstanden hatte. Obwohl das hier im Wald wahrscheinlich niemandem außer ihr selbst auffallen würde. Es musste wohl eine Art Schutzmechanismus sein, der sie dazu veranlasste, über so unwichtige Dinge wie ihre Kleidung nachzudenken, während sie jederzeit von ihren Verfolgern eingeholt und getötet werden konnten. Karen schauderte und blickte sich erneut um.
Sie war in den letzten Jahren bereits einige Male fast gestorben, aber das war eine andere Situation gewesen. Damals hatte sie nicht gewusst, dass jemand sie verfolgte. Die Unfälle waren schnell und unerwartet eingetreten. Sie hatte nicht damit gerechnet und deshalb auch nicht stunden- oder tagelang vorher darüber nachgedacht. Fast schien ihr das die bessere Todesart zu sein: Zack, und sie hatte keine Probleme mehr.
Angewidert schüttelte Karen den Kopf. Sie war kein Mensch, der sich vor irgendetwas drückte. Und im Moment wollte sie leben, und sie würde im Notfall auch dafür kämpfen. Ebenso wie Clint, der, ohne zu zögern, einen Weg durch das Dickicht einschlug, den wohl nur er erkennen konnte.
»Gehen wir überhaupt in die richtige Richtung?« Karen fragte eigentlich mehr, weil sie seine Stimme hören wollte. Sie nahm nicht wirklich an, dass er sie in die Irre führte.
Mit hochgezogenen Augenbrauen blieb er stehen und wandte sich zu ihr um. »Das fragst du jetzt, nachdem wir schon stundenlang gegangen sind?«
Karen zuckte mit den Schultern. »Besser spät als nie.«
Clints Mundwinkel hob sich, und er streckte ihr sein Handgelenk entgegen. »In meiner Uhr ist ein Kompass, nur für den Fall, dass es zu dunkel und der Himmel zu bedeckt ist, um meinen Weg so zu finden.«
Karen nickte. »Ich habe nicht wirklich geglaubt, dass du den Weg nicht findest, ich wollte bloß …«
Als sie abbrach, wurde Clints Miene sanfter. Seine große Hand legte sich um ihre Wange. »Ich weiß. Es tut mir leid, dass ich dich in diese Situation gebracht habe. Ich hatte versprochen, dich zu beschützen, und jetzt …«
Karen unterbrach ihn energisch. »So ein Unsinn, erstens sind wir durch mich in dieser Lage, und zweitens wäre ich ohne dich höchstwahrscheinlich bereits tot.«
Clint verzog den Mund, widersprach aber nicht. Seine Hände bohrten sich in ihre Schultern. »Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert!«
Karen brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Das weiß ich, und ich bin wirklich froh, dich an meiner Seite zu haben.«
»Immer.« Clints tiefe Stimme war noch rauer als sonst.
Karen überlief ein weiterer Schauer, diesmal allerdings ein freudiger. Wieder klang es so, als beabsichtigte Clint auch später noch für sie da zu sein, wenn sie erst einmal diese unmögliche Situation überstanden hatten. Karen weigerte sich, über den heutigen Tag hinauszudenken, und genoss stattdessen einfach die Gefühle, die seine Worte in ihr entfachten.
Es tat so gut, einmal nicht einsam zu sein, denn das war sie trotz ihrer Ehe in den letzten Jahren gewesen, und nicht alles vorausplanen zu müssen. Sie existierte nur im Hier und Jetzt. Auf der Flucht vor bewaffneten Männern, die sie töten wollten, aber zusammen mit einem starken, faszinierenden Mann, der sie gerade ansah, als würde er sie am liebsten verspeisen. Jetzt sofort, ohne Rücksicht auf ihre Umgebung. Sie erkannte in seinen Augen, dass er sie küssen würde. Obwohl sie genug Zeit hatte, sich abzuwenden, tat sie es nicht. Im Gegenteil, mit einer für sie untypischen Direktheit griff sie in sein Hemd und zog ihn ungeduldig näher an sich heran.
Was eigentlich als sanfter, freundlicher Kuss geplant war, entwickelte sich schnell zu einer wahren Lawine. Ihre Zungen umschlangen sich, als gäbe es kein Morgen mehr. Und vielleicht
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