Riskante Versuchung
der Leitung sträubte. „Ich versuche lediglich, höflich zu sein …“
„Nein, Sie versuchen mich einzuschüchtern, Elliot. Lassen Sie das. Vor einer Minute haben Sie mich auch Jess genannt.“
„Habe ich?“
„Ja. Es ist Ihnen rausgerutscht. Da haben Sie sich tatsächlich mal menschlich benommen.“
Er lachte. „Jetzt hören Sie sich an wie Selma. Also gut, Jess , kommen Sie endlich zur Sache und nennen Sie mir den Grund Ihres Anrufs.“
„Vier Leute haben sich in Robs Apartment aufgehalten“, erklärte Jess. „Vier Leute, vier Sätze Fingerabdrücke. Aber wenn diese vier Leute vor Ihnen stünden, hätten Sie immer noch keine Ahnung, wer von ihnen der Mörder ist. Nicht bevor Sie deren Fingerabdrücke genommen haben.“
Elliot lachte erneut. „Ich verstehe. Sie arbeiten nach wie vor hart daran, Carpenter zu entlasten. Okay, wir haben also vier Sätze Fingerabdrücke und vier Personen. Stimmt, jeder von denen könnte derjenige sein, nach dem wir suchen. Wir nehmen an, es ist Carpenter, wegen der Beweise, die wir in seinem Wagen gefunden haben.“
„Was aber wäre“, meinte Jess, „wenn ich Ihnen die Namen der Männer nennen könnte, zu denen die von Ihnen sichergestellten Fingerabdrücke gehören? Und was, wenn ich Ihnen sage, dass jeder dieser Männer sich irgendwann Robs Wagen geliehen hat?“
Elliot wurde plötzlich sehr still. Dann sagte er: „Bitte erzählen Sie weiter.“
„Rob ist Nummer eins, mein Exmann Ian Davis ist Nummer zwei. Frank Madsen, ein Freund von uns und Kollege von Rob, der zwei Wochen in seinem Apartment gewohnt hat, ist Nummer drei. Und Stanford Greene von nebenan ist Nummer vier“, beendete Jess ihre Aufzählung. „Und Sie haben recht, ich glaube nach wie vor nicht daran, dass Rob der Mann ist, den Sie suchen. Ich glaube, es ist Ian.“
„Ihr Exmann?“ Er stieß ein paar Verwünschungen aus. „Also gut, meinetwegen. Geben Sie mir seine Adresse. Ich werde seine Wohnung überprüfen und ihn zur Befragung mitnehmen.“
Jess schöpfte ein wenig Hoffnung. „Sie glauben also auch, Ian könnte es gewesen sein?“
Elliot seufzte. „Das ist wirklich eine hübsche Theorie, nur liefert sie leider keine Erklärung für Carpenters unklare Identität. Wissen Sie, es ist nicht ganz legal, einen falschen Namen und eine falsche Sozialversicherungsnummer zu benutzen. Wer immer er sein mag, er hat etwas zu verbergen. Ich gehe weiterhin jede Wette ein, dass er unser Mann ist.“
„Werden Sie trotzdem Ians Fingerabdrücke nehmen und sie mit denen des Mörders vergleichen?“, ließ sie nicht locker.
„Das werden wir.“
Sie schloss die Augen. „Ich weiß einfach, dass es Ian ist.“
Elliot seufzte erneut, und als er wieder sprach, hatte seine Stimme den harten Unterton verloren. Er klang erstaunlich mitfühlend. „Wenn es Ian ist, warum ist Rob dann geflohen?“
Er würde seine Methode ändern müssen. Zu viele Leute hatten inzwischen Angst. Zu viele Leute wussten, wonach sie suchen mussten.
Zu schade.
Er mochte das Seil. Sehr sogar.
Vielleicht noch ein einziges Mal …
Er schloss die Augen und schlief wieder ein.
Jess.
Sie war bereits in seinen Träumen, ihr strahlendes Lächeln, ihr liebliches Gesicht, so liebreizend …
Doch auf einmal galt dieses Lächeln nicht mehr ihm. Sie wandte sich ab, ging davon …
Er fühlte die Panik in sich. Geh nicht, wollte er rufen, doch sie lief einfach weiter. Er versuchte zu ihr zu rennen, doch er hatte das Gefühl, als versacke er in Treibsand. Er konnte sich kaum bewegen, kaum noch atmen …
Er schrie erneut, und es kam nur ein erstickter Laut heraus.
Sie drehte sich um.
Aber ihr Gesicht hatte sich verändert.
Es war gar nicht mehr Jess, sondern seine Mutter. Und sie war groß und wütend, ihre Augen rot vor Zorn, und sie ragte bedrohlich über ihm auf …
„Du kannst sie nicht haben“, schalt seine Mutter ihn und lachte boshaft. Er wollte sich die Ohren zuhalten, so wie damals als kleiner Junge.
Doch die Klinge lag in seiner Hand. Er fühlte das kalte glatte Metall.
„Sie wird dir niemals gehören“, spottete seine Mutter. „Du wertloses Stück …“
Er stach zu.
Das Geräusch der ins Fleisch gleitenden Klinge war sehr vertraut, das Zischen der Luftröhre, das ihm ins Gesicht spritzende warme Blut …
Ihre Augen verloren ihren Glanz, als das Leben aus ihr wich. Aber sie lächelte weiter, liebevoll jetzt, zärtlich. Und sie sagte: „Töte sie.“
17. KAPITEL
Langsam schloss Jess ihre Küchentür auf und
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