Risotto Mit Otto
Schicksal. Ich kam zu dem Schluss, dass ich seine Entscheidung akzeptieren musste, ob sie mir nun behagte oder nicht.
Anfang Juni fiel mir, was den Ärger mit dem alten Colluti betraf, keine einzige Ausrede mehr ein. Ich schritt also zur Tat und schrieb dem alten Herrn einen Brief, in dem ich ihm ein Ultimatum stellte. Besser, du hast was Schriftliches in der Hand, dachte ich mir, außerdem fiel es mir wesentlich leichter, meine Forderungen aufzuschreiben, als sie ihm in einem Telefonat nahezubringen, das jederzeit aus dem Ruder laufen konnte. In der nächsten Woche würde ich vorbeikommen und das von babbo zu Unrecht an ihn gezahlte Geld bei ihm abholen, kündigte ich an. Als er mich daraufhin zwei Tage darauf anrief, kam ich um eine Auseinandersetzung am Telefon zwar nicht herum, doch zu meinem Erstaunen wiederholte er die Drohung, meine Eltern zu informieren, diesmal nicht, sondern nannte mir ganz sachlich und ohne ein weiteres Wort einen Termin. Abschließend sagte er: »Du wirst schon sehen, was du davon hast, mein Kind.«
Eine Woche später wusste ich dann ganz genau, was ich davon hatte: nichts. Oder vielmehr: nichts als Ärger. Und das war eigentlich abzusehen gewesen. Den Kopf in den Sand zu stecken war noch nie eine zuverlässige Methode, um unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen, und meine bis zur Perfektion ausgereifte Strategie des Aussitzens versagte diesmal auf ganzer Linie.
Ich war am späten Vormittag unterwegs nach Neuhausen, um Signor Colluti den endgültig letzten Besuch abzustatten, und hatte mich unterwegs mit zahlreichen Selbstgesprächen und diversen Rollenspielen auf den Ernstfall vorbereitet. Von den erstaunten bis befremdeten Blicken der anderen Fahrgäste in der U-Bahn ließ ich mich jedoch nicht weiter irritieren, so sehr war ich in meinem Element und darauf bedacht, mich mit allen nur erdenklichen Argumenten für das Gespräch zu wappnen. Es würde mit Sicherheit nicht leicht werden, doch ich war diesmal festen Willens, mir von dem alten Betrüger nicht wieder den Schneid abkaufen zu lassen.
Ich war gerade in die Tiepolostraße eingebogen, als mein Telefon klingelte. Guter Dinge ging ich ran, als ich sah, dass es babbo war, und freute mich, mal wieder seine Stimme zu hören. Ich hatte die letzten Male immer nur mit mamma gesprochen, und da die Telefonate mit meinen Eltern nicht nur seltener, sondern auch deutlich kürzer geworden waren, hatten wir keine Gelegenheit gehabt, miteinander zu reden.
»Ciao, babbo!« , rief ich ausgelassen und hob die Hand, als könne er es sehen. »Na, ist zu Hause auch so schönes Wetter? Der Himmel ist strahlend blau, davon bekommt man automatisch gute Laune«, plapperte ich vor mich hin, ohne die drohenden Gewitterwolken zu bemerken, die sich knapp siebenhundert Kilometer von mir entfernt bedrohlich aufgetürmt hatten.
»Die wird dir gleich vergehen«, sagte er, und seine aufgebracht klingende Stimme ließ nichts Gutes ahnen.
»Ich …«
»Sei still, sonst setzt’s was!«, fuhr er mir über den Mund, was in den letzten vierundzwanzig Jahren bisher nur ein einziges Mal vorgekommen war. Damals war ich drei gewesen und hatte mich nicht beruhigen können oder wollen, nachdem mein Vater mir mit nicht unbedingt sanftem Nachdruck seine handgenähten Lederschuhe weggenommen hatte, mit denen ich in der Toilettenschüssel U-Boot gespielt hatte.
Die Situation war ernst. Ernster, als sie in der direkten Konfrontation mit Signor Colluti je hätte sein können. Ich blieb stehen und lehnte mich an den Pfosten der Straßenlaterne gleich neben den Altglascontainern. Es roch unangenehm nach Essig, und mich durchfuhr der Gedanke, dass der Gestank zu meiner Situation passte: Mein ganzer Plan war Essig. All die Rollenspiele und Selbstgespräche hätte ich mir sparen können, denn auf das Donnerwetter, das nun folgte, hatte ich mich nicht im Entferntesten vorbereitet.
»Bist du denn noch zu retten? Was hast du dir bloß dabei gedacht? Wir haben uns nach langen Überlegungen und so mancher schlaflosen Nacht schweren Herzens dazu durchgerungen, dir dieses Jahr in München zu ermöglichen, und dann belügst du uns nach Strich und Faden! Was fällt dir bloß ein, unser Vertrauen dermaßen zu missbrauchen? Wieso wohnst du nicht bei Signor Colluti, wie wir es vereinbart haben? Deine Mutter und ich haben uns auf dich verlassen, Angela.«
Die Enttäuschung meines Vaters traf mich wie ein Vorschlaghammer, und ich wurde automatisch ein paar Zentimeter kleiner. Vorsichtig
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